18. Jahrgang | Nummer 15 | 20. Juli 2015

„Die Quellen sprechen“

von Manfred Orlick

Die Edition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945“ ist seit Jahren ein riesiges geisteswissenschaftliches Forschungsprojekt. Sie ist auf insgesamt 16 Bände (Verlag De Gruyter Oldenbourg) ausgelegt, von denen inzwischen die Hälfte erschienen ist. Jeder Band enthält jeweils etwa 300 bis 340 Dokumente in kommentierter Form.
Um die Geschichte der Judenverfolgung und des Holocaust‘ noch mehr im heutigen Bewusstsein wachzuhalten, entschloss man sich, auch eine Hörfassung aufzubereiten, deren erster Teil, „Die Quellen sprechen“, nun im Hörverlag auf 14 Audio-CDs erschienen ist. Die Gemeinschaftsarbeit des Bayerischen Rundfunks mit dem Institut für Zeitgeschichte dokumentiert die Jahre 1933 bis 1941. Neben der Auswahl standen die Herausgeber vor allem vor der Frage: Wie lassen sich solche Dokumente zum „Sprechen“ bringen?
Auf acht CDs wird nun eine Auswahl vorgestellt, in der zahlreiche Zeitungsberichte, Hilferufe, Verordnungen, Befehle, Privatbriefe oder Tagebuchaufzeichnungen zu Gehör gebracht werden. Dabei sind die Dokumente chronologisch angeordnet, wodurch ständig wechselnde Perspektiven entstehen – zum Beispiel folgen einem Erlass mit Richtlinien zur Diskriminierung von Juden Berichte über Pogrome oder Veröffentlichungen aus einer Warschauer Ghettozeitung.
Die meisten Texte werden von den Schauspielern und Sprechern Bibiana Beglau und Matthias Brandt vorgelesen, wobei bewusst auf jegliche sprachliche Interpretation verzichtet wurde. Es gibt auch keine musikalischen Zwischentitel. Einziges Stilmittel (Abwechslung) sind Aufnahmen mit Zeitzeugen, die allerdings nicht ihre eigenen Texte lesen.
Die Audio-CDs neun bis 14 enthalten dann Gespräche mit rund zwanzig Zeitzeugen. Die Interviews führten Ulrich Gerhardt und Norbert Lang im Herbst 2012 an verschiedenen Orten – darunter mit Pavel Stránský, der heute als Reiseführer in Theresienstadt und Lidice tätig ist, mit der Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger oder dem Pfarrer Walter Joelsen. Alle Zeitzeugen sprechen über ihre Erlebnisse und Erfahrungen, wobei die Berichte und nicht zuletzt die Stimmen heute immer noch vom Erlebnis der Barbarei geprägt sind.
Eine Hör-Dokumentation, die den nationalsozialistischen Rassismus und das unermessliche Leid der Opfer nahebringt.
Die Edition hat die Form eines Dokumenten-Würfels – auf der einen Seite des Schuber-Kubus vier Digipacks mit den gelesenen Dokumenten und auf der anderen Seite drei mit den Interviews. Komplettiert wird die Edition durch ein 80-seitiges Booklet, das zahlreiche Informationen zur Edition und zu den Zeitzeugen enthält.

„Die Quellen sprechen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Eine dokumentarische Höredition, Teil 1-4“, Der Hörverlag GmbH München 2015, 14 Audio-CDs, 79,99 Euro.