18. Jahrgang | Nummer 9 | 27. April 2015

Reminiszenz an Julius Berstl

von Thomas Zimmermann

Julius Berstl, einer der erfolgreichsten und vielseitigsten Autoren der Weimarer Republik, „wurde am 6. August 1883 als zweiter Sohn des Schauspielerehepaars Norbert und Franziska Berstl in Bernburg an der Saale, Lange Straße 3, geboren. Die Eltern befanden sich im ‚Sommerengagement‘.“
Mit diesen Worten begann Berstl seine Autobiografie Odyssee eines Theatermenschen, die er 1963 in Hollywood verfasste und in der er auf ein längst vergangenes Kapitel der deutschen Geschichte zurückblickte: die Kaiserzeit, in der die Theater noch keinen ganzjährigen Spielplan hatten und die Schauspieler dadurch gezwungen waren, sich für jedes Halbjahr bei einer anderen Spielstätte zu bewerben. Berstls Eltern hatte es auf diese Weise 1883 an die Bernburger Bühne verschlagen, für die Wintersaison aber waren sie schon nach Sankt Gallen in der Schweiz engagiert. Die junge Familie sollte über Jahre nie länger als sechs Monate an einem Ort leben, ein Gefühl der Heimatlosigkeit begleitete Julius Berstl von Kindertagen an.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass er an seine Geburtsstadt Bernburg nur wenige Erinnerungen hatte. Im Alter von sechs Wochen wurde Berstl in der Schlosskirche Sankt Ägidien getauft, unmittelbar danach verließ die Familie Bernburg in Richtung Schweiz. Bis 1890 führte die Familie, die väterlicherseits dem mährisch-jüdischen Kleinbürgertum, mütterlicherseits einer hessischen Schauspielerdynastie entstammte, ein unstetes Wanderleben, immer auf der Suche nach neuen Engagements. Dann aber wurde Norbert Nathan Berstl zum Direktor des Göttinger Stadttheaters ernannt und seine Familie sesshaft.
Nach einem kurzen Studium der Literatur arbeitete Julius Berstl zunächst als Lektor in Leipzig, bevor er 1909 nach Berlin ging, wo er am Theater des legendären Victor Barnowsky als Dramaturg wirkte. Bis 1924 sollte Berstl Barnowsky künstlerisch beraten und dabei mit den Spitzen der damaligen Literatur verkehren, so etwa mit den Brüdern Mann, Stefan Zweig, Curt Goetz, Joseph Roth, Bert Brecht und vielen anderen.
Zu dieser Zeit begann er auch, erste Theaterstücke zu verfassen. Sie wurden zwar veröffentlicht und auch aufgeführt, doch mehr als einen Achtungserfolg erzielten sie zunächst nicht. Der Weltkrieg brachte schließlich die entscheidende Zäsur in Berstls Schaffen. Kurz vor Kriegsbeginn hatte Berstl die Schauspielerin Hedwig Koch geheiratet, noch 1914 wurde der Sohn Norbert geboren. Dann aber fand sich der junge Vater und angehende Autor bald in einer Jüterboger Kaserne wieder, wo er dank Kriegsrationen auf 95 Pfund abmagerte und neben der Verwaltungspost heimlich seinen ersten Roman verfasste. „Ich habe im Lärm dieser Schreibstube (außerdienstlich) große Teile meines Romans ‚Überall Molly und Liebe‘ geschrieben, meine erste erwachsene Arbeit“, vermerkte er viele Jahre später.
Der Roman machte Berstl über Nacht berühmt. Zurück aus dem Krieg, war er ein gefragter Autor, seine humorvoll-zeitkritischen Romane wurden in Zeitungen vorabgedruckt und gerieten nicht selten zu wahren Skandalen, da sich viele Zeitgenossen in ihnen wiederfanden. Ab 1924 arbeitete Berstl in verschiedenen Theaterverlagen und etablierte sich zudem auch als Bühnenautor. Sein erfolgreichstes Stück, die Komödie Dover-Calais, wurde Weihnachten 1926 an unfassbaren 25 Bühnen gleichzeitig uraufgeführt. Andere, politische Unterhaltungsstücke wie Scribbys Suppen sind die besten und die Napoleon-Satire Napi folgten.
Mit der ‚Machtergreifung‘ der Nazis 1933 endeten Berstls Erfolge. Als Halbjude gebrandmarkt, wurde er zunächst mit einem Publikationsverbot belegt, und nachdem er es 1935 abgelehnt hatte, der faschistischen Reichsschrifttumskammer beizutreten, emigrierte er schließlich im Juli 1936 über Holland nach London. Dort war Berstl zunächst auf die Unterstützung von Freunden angewiesen, weil ihm keine Arbeitserlaubnis erteilt wurde. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich Berstls Lage noch weiter: Als Deutscher wurde er in Huyton bei Liverpool interniert und lebte dort mit anderen Flüchtlingen, wie dem antifaschistischen Schriftsteller Hans José Rehfisch und dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar, unter erbärmlichen Umständen – bis er krankheitsbegingt entlassen wurde.
Berstl arbeitete in der Folgezeit für den BBC und nahm über 60 Hörspiele auf, die zunächst an die Humanität der deutschen Soldaten appellierten und nach 1945 auch die Jugend östlich der Elbe mit christlichem Gedankengut versorgten. Gleichzeitig konnte sich Berstl in England und den USA als Autor durchsetzen. Besonders seine Romane um den Apostel Paulus Der Zeltmacher und Adler und Kreuz fanden beidseits des Atlantiks großen Anklang: Der einst so zeitkritische Autor hatte sich im Alter verstärkt dem Glauben zugewandt.
Als er 1951 von der BBC in den Ruhestand versetzt wurde, siedelte Berstl mit seiner Familie in die USA über, wo er in New York als freier Autor lebte. Nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1964 zog Berstl nach Kalifornien, um dort als Drehbuchautor für Hollywood zu arbeiten. Doch nur schwer fand er zur leichten Kost zurück, der große Wurf blieb aus. Berstl starb am 8. Dezember 1975 in Santa Barbara im Alter von 92 Jahren.