17. Jahrgang | Sonderausgabe | 15. Dezember 2014

Reminiszenz an Hans Lorbeer

von Thomas Zimmermann

„Ich musste fleißig Bücher lesen, um ein guter Funktionär zu sein.“ Es sind Sätze wie diese, aus denen der Großteil von Hans Lorbeers (1901–1973) literarischem Werk zusammengeschustert ist. Wenn sich der herausragende Dichter aus Wittenberg als politischer Erzähler gab, wurde er immer ein bisschen blöd. So auch in der kleinen autobiografischen Geschichte, die den kurz nach seinem Tod veröffentlichten Sammelband „Ein Leben lang“ (1974) abschloss. Während Lorbeer darin von seiner Hinwendung zum Kommunismus, von Arbeiterstreiks im Chemiewerk und vom Widerstand im NS-Staat berichtet, kehrt er immer wieder – teilweise recht unerwartet – in die beengten Kreise seiner Horizonte zurück. „Das wichtigste im Leben ist doch, das Werkzeug in Ordnung zu halten“, heißt es da etwa in ziemlich naiv vorgetragener Lebensweisheit.
Lorbeer gehört der vom Ersten Weltkrieg verschütteten Generation an, die in ihren Jugendjahren den Zusammenbruch der vertrauten Ordnung erfuhr und der weder die kriegstraumatisierte Vatergeneration noch die zunächst wirtschaftlich wie politisch gefährlich wankende Republik Orientierung geben konnte: der Wittenberger als ein ungelernter Chemiearbeiter, ein Laufbursche zwischen Fabrik und Werkstatt, dem die Wohnung immer etwas zu klein war für die wachsende Kinderzahl, und der links der etablierten Sozialdemokratie nach politischen Alternativen suchte. Lorbeer fand diese bald in der KPD, umgekehrt entdeckte die Partei das literarische Talent ihres neuen Mitglieds. Politisch gefördert, erschienen 1925 von dem bis dahin völlig unbekannten Lorbeer der Band „Gedichte eines jungen Arbeiters“ und die Tragikomödie „Der Trinker“ in der Halleschen Buchdruck-Werkgemeinschaft, 1927 folgte – und hier erwies sich Lorbeer als dankbarer Eleve – das Sprechchorwerk „Liebknecht, Luxemburg, Lenin“.
Das Stück erschien im Berliner Internationalen Arbeiter-Verlag und ebnete Lorbeer den Weg in die linke Literatenszene der Hauptstadt, wo er 1928 zu den Gründern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller gehörte. Andere Mitglieder der ersten Stunde wie Johannes R. Becher, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Anna Seghers und Erich Weinert sind sicherlich populärer geblieben als Lorbeer, gleiches gilt auch für die später Hinzugekommenen Bruno Apitz, Willi Bredel, Hans Marchwitza und Friedrich Wolf, doch veranschaulichen diese prominenten Namen, in welcher literarischen und politischen Gesellschaft sich der – inzwischen stellenlose – Arbeiter aus Wittenberg in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre befand.
Anders als viele dieser Weggefährten war Lorbeer alles andere als ein konformistischer Parteigänger der KPD. Seine Kritik an der internationalen Ausrichtung der Partei führte zum Ausschluss, der sich auch auf seine literarischen Veröffentlichungsmöglichkeiten niederschlug: Das KPD-Blatt Die rote Fahne war Lorbeer fortan versperrt, sein Libretto zum Chorwerk „Panzerschiff Potemkin“ (1929, mit der Musik von Franz Landé) konnte nur noch im Eigenverlag erscheinen. Dennoch blieb Lorbeer in Mitteldeutschland als Kommunist politisch aktiv, was ihm nach 1933 zum Verhängnis wurde: Konzentrationslager, Zwangsarbeit, Zuchthaus.
Im Frühsommer 1945 wurde Lorbeer rehabilitiert und in die KPD wieder- und dann mit ihr in die SED aufgenommen. Wie schon in den zwanziger Jahren bediente der Wittenberger auch in dem jungen Bauern- und Arbeitsstaat das Bedürfnis nach ungeschliffener, urtümlicher Proletarierliteratur, wenngleich zunächst mit nur mäßigem Erfolg. Die Gedichtbände „Des Tages Lied“ (1948) und „Es singt ein Mensch auf allen Straßen“ (1950), der Erzählband „Vorfrühling und andere Liebesgeschichten“ (1953) sowie der Roman „Die Sieben ist eine gute Zahl (1953) erreichten für ostdeutsche Verhältnisse eher geringe Auflagenhöhen.
Erst mit der Luther-Romantrilogie „Die Rebellen von Wittenberg“ mauserte sich Lorbeer zum Bestseller-Autor: Bis 1989 kamen „Das Fegefeuer“ (1956) auf 20, „Der Widerruf“ (1959) auf 16 und „Die Obrigkeit“ (1963) immerhin auf 13 Auflagen. Einige andere Erzählungen und der Roman „Der Spinner“ (1959) sind ähnlich sperrig geschrieben und zeigen überdeutlich den parteipädagogischen Zeigefinger.
Wie so viele andere Autoren, die ihr Schreiben der DDR verpflichtet hatten, sank Lorbeers Stern mit der deutschen Wiedervereinigung, seine in Massenauflagen vertriebenen Bücher finden sich heute auf den Ramschtischen ostdeutscher Antiquariate – Ist also gar nichts mehr lesenswert, hat kein Text Lorbeers die Zeit überdauert?
Ein schmales Heftchen, „Die Gitterharfe“ (1948) geheißen, vereint Gedichte von Lorbeer, die zwischen 1933 und 1945 verfasst worden sind. Im inneren Exil tritt die Politik zurück, die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens treten hervor. Lorbeer erlaubt sich die Flucht in Sonette, situative Gebrauchslyrik mit Komik sogar, daneben immer wieder volksliedhafte Naturgedichte. Da steht das lyrische Ich an der herbstlichen Elbe, auf der Straße in der Fabrikstadt Wittenberg, im traulichen Heim. Da ist Lorbeer zu Hause. Und echt. Noch heute.