17. Jahrgang | Nummer 19 | 15. September 2014

Reminiszenz an Otto Ernst Hesse

von Thomas Zimmermann

„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da. Die Nacht ist da, dass was geschieht.“ Als Gustaf Gründgens diesen Schlager erstmals im UFA-Film Tanz auf dem Vulkan aus dem Jahr 1938 sang, wurde über Nacht ein Evergreen daraus. Von Hildegard Knef über Max Raabe bis zu Udo Lindenberg: Immer wieder wurde dieser Gassenhauer neu interpretiert. Dass er ursprünglich die Deutschen einlullen sollte, um sie von so mancher Nazi-Gräueltat abzulenken, ist inzwischen längst vergessen. Ebenso der Autor des Liedes, Otto Ernst Hesse, der seinerzeit zu den populärsten Komödien- und Drehbuchautoren zählte.
Hesses Karriere begann im Jahr 1925, als er von Königsberg nach Berlin umsiedelte, wo er fortan wie Joseph Roth und Kurt Tucholsky auch für die Vossische Zeitung schrieb. Vor diesem Jahr war nichts: Die Kindheit in Jeßnitz (Anhalt), das Literaturstudium, die Dozentur an der Universität Königsberg, ein paar expressionistisch angehauchte Gedichtbände und der Kriegsdienst als Freiwilliger – das alles war nur ein ewiges Suchen nach der wahren Berufung. In die richtige Richtung führte Hesse erst eine Anstellung als Feuilletonmitarbeiter bei der Königsberger Allgemeinen Zeitung im Jahr 1917.
Hier wandte er sich der süßen Satire, auf der Theaterbühne der leichten Komik zu. Seine Stücke Das Privileg (1921) und BGB § 1312 (1923) stellten eine äußerst erfolgreiche, weil bekömmliche Mischung aus viel Humor und wenig Kritik dar und machten die Hauptstadt auf den Mann aus der ostpreußischen Peripherie aufmerksam. Die Vossische lud nach Berlin – und Hesse nahm an. Der Anhalter orientierte sich in kürzester Zeit im großstädtischen Kulturzirkus und konnte auch von Berlin aus literarisch überzeugen. Auf seine Komödie Wiederaufnahme beantragt (1930) folgte mit dem Schauspiel Voruntersuchung eine Zusammenarbeit mit dem damals namhaften Anwalt Max Alsberg, die – für Hesse ungewohnt ernst die moralische Unzulänglichkeit der Justiz anprangernd – im Oktober 1930 am Berliner Renaissance-Theater uraufgeführt und anschließend auf allen großen Bühnen im deutschen Sprachraum gegeben wurde. Schon im April 1931 hatte die UFA-Verfilmung des Stücks ihre Premiere. Diese ist zwar ebenso wie die französische Parallelverfilmung längst in Vergessenheit geraten, eine zweite Verfilmung von 1967 geistert aber noch heute durch das fünfzehnte Programm.
Nach dem Erfolg der Voruntersuchung trennten sich Hesses und Alsbergs Wege wieder. Alsberg, der den späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky gegen eine schon rechtslastige Justiz verteidigte, emigrierte 1933, als jüdisch und links eingestellt diffamiert, in die Schweiz, wo er sich desillusioniert das Leben nahm. Hesse hingegen wandte sich mit Der Star der Weltgeschichte (1932) wieder der leichten Muse zu, wechselte im selben Jahr zur Berliner Zeitung am Mittag, die zwar nicht unbedingt mit Renommee, dafür aber mit dem Posten des Feuilletonleiters locken konnte, und schloss sich dem NS-Regime an. Zum einen war Hesse von Grund auf der rechten Ideologie gegenüber nicht gerade besonders ablehnend eingestellt. So hatte er bereits 1929 ein paar über den Klee lobende Schriften über seine rechtslastigen Kollegen Hans Carossa und Hans Friedrich Blunck verfasst. Zum anderen erkannte Hesse in der NS-Diktatur die Gelegenheit, jene Posten im Literaturbetrieb auszufüllen, die durch die Emigration zahlreicher bedeutender Schriftsteller vakant geworden waren. Und das subventionierte Bedürfnis nach Zerstreuung und Ablenkung wuchs unter Hitler praktisch von Tag zu Tag. Also dienerte Hesse dem „Dritten Reich“ seine Fähigkeiten an: Als Drehbuchautor wirkte er ab 1936 für die UFA, ab 1941 konnte er aufgrund der massenhaften Verbreitung seiner Novellen in Feldpostausgaben als freier Schriftsteller leben. Dazwischen überzeugten vor allem seine Komödien Polterabend und Bengalische Zukunft (beide 1937).
Anders als die von ihm hochgelobten Autoren Carossa und Blunck wurde Hesse in der NS-Zeit allerdings weder mit Auszeichnungen noch mit herausragenden Ämtern in der Kulturpolitik bedacht. Die heitere Muse war dann doch mehr Notwendigkeit als herausstellbare Kunst. Und so wirkte Hesse bis zuletzt größtenteils derart dezent im Hintergrund für Spaß und Spannung im Kino und auf der Bühne der Nazis, dass nach 1945 weder Autor noch Werk mit dem Hitler-Staat in Verbindung gebracht wurden. Nicht einmal auf der übereifrig erstellten sowjetischen „Liste der auszusondernden Literatur“ landete der Nützlichkeitsschreiber. In den Standardwerken zur NS-Literatur taucht er gleichfalls nicht auf.
Ein vergessener Autor – zum Glück.
Ein vergessenes Werk – was schade ist.