17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Reminiszenz an Hedwig Courths-Mahler

von Thomas Zimmermann

Ganz nüchtern betrachtet, muss zu Recht und gleich zu Beginn die Frage gestellt werden, ob sich Ernestine Courths, geborene Mahler, unter dem Künstlervornamen Hedwig, überhaupt schriftstellerisch betätigte. Schriftstellerisch im Sinne von „schöngeistig“. Schönheit ist bekanntlich eine Geschmackssache, über die sich nicht streiten lässt: Der eine erkennt sie und der andere eben nicht. Und allein die Cover der unsterblichen Romane der Courths-Mahler schreien noch heute: Biedermeier-Quatsch! Romantik-Mist! Carl Spitzweg! Also kurz: tatsächlich schön in gewissen Momenten.
Aber geistig? Bertolt Brecht lobte die Königin des Kitsches als „große Realistin“, aber entweder hatte er da schon zu lange in der vielbesungenen Alabama-Whiskybar gehockt oder er wollte dem verhassten Bürgertum das letzte scheu verheimlichte Schlafzimmervergnügen verlachen: die Romane der Courths-Mahler eben, die millionenfach auf den Nachttischen der Nation, unter den Sofakissen und in den zweiten Reihen im Bücheregal ihren Platz fanden. Und finden.
So lange sie konnte – also lebte –, hielt die Autorin treu zu ihren Lesern und schrieb ihnen mehr als 200 Romane. Dass es allein im Jahr 1924 gleich vierzehn sein mussten, lässt wahrscheinlich noch heute so manchen Kritiker (und Snob) in der Nachfolge des Satirikers Robert Neumann ächzen, bietet aber einen schönen Zugang zu der Person hinter dem Kitsch aus armem Stubenmädchen und adligem Arzt.
Vor dem Jahr 1924 lag nämlich, wie ja allseits bekannt ist, das Jahr 1923, und darin tobte sich die Nachkriegsinflation in Deutschland aus. Die Courths-Mahler verlor dabei ein Millionenvermögen – und ihr Verleger ebenso, der bis dahin noch viel mehr als seine Autorin an deren Büchern verdient hatte; dieser Verleger also gab ihr für den Neustart – zehn Mark. Dass die Courths-Mahler fortan Romane in rauen Mengen fabrizierte, war also nicht nur ihrer Leidenschaft fürs Happyend geschuldet, sondern geschah nicht zuletzt aus Furcht vor erneuter Armut.
Ärmlich waren auch die Anfänge. Bevor ihr Vater, ein kleiner Saaleschiffer aus Nebra, im deutsch-österreichischen Krieg von 1866 starb, hatte es nur für die Zeugung, nicht aber für die Heirat gereicht. Der stolze Großvater jagte die junge Mutter samt unehelicher Enkeltochter aus seinem Haus; ein zweiter, diesmal tatsächlicher Ehe-Mann blieb im deutsch-französischen Krieg von 1871.
Hedwig und Mutter lebten erst in Weißenfels, dann in Leipzig. Die ältere Mahler verdingte sich als Köchin und Vermieterin, die jüngere nach kurzem Schulbesuch als Hausmädchen und Vorleserin einer älteren Dame. Dabei kam sie ein wenig mit Literatur in Berührung – immerhin mit genügend, um zu erkennen, was so einer älteren Dame die Augen glasig macht. Das wirtschaftliche Auf und Ab, das sie mit der Mutter durchlebte, setzte sie ab 1889 mit ihrem Ehemann Fritz Courths fort, der sich als Maler in Leipzig, Halle und Chemnitz durchschlug. In Chemnitz trat dann auch Hedwig Courths-Mahler, die bis seit ihrer Hochzeit eigentlich Ernestine Courths hieß, erstmals namentlich und literarisch in Erscheinung: Der Chefredakteur des örtlichen Tageblatts verhalf ihr (in Erinnerung an die Tänzerin eines Wanderzirkus) zu dem später so bekannten Pseudonym, druckte ihren Roman „Licht und Schatten“ in Fortsetzungen und zahlte damals einigermaßen anständige 250 Mark dafür.
Die Courths-Mahler, so viel steht fest, musste am Anfang ordentlich was einstecken. Auf der einen Seite versuchte sie, sich Anerkennung zu erschreiben und zugleich das Haushaltgeld aufzustocken. Auf der anderen Seite gab es Verleger wie – na, lieber nicht! –, die Knebelverträge aufsetzten, nach denen die Courths-Mahler zehn Jahre lang je drei Romane zu je einhundert Mark abzuliefern hatte. Aber sie schrieb sich frei, indem sie einfach auf Masse schrieb. Und ihre nach dem immer gleichen Konzept gestrickten, immer auf ein Happyend hinauslaufenden Geschichten (also doch schöngeistig!) fanden ihr Publikum: Mit „Eine ungeliebte Frau“ und „Die schöne Unbekannte“ knackte sie 1918 erstmals die Millionenauflagengrenze, andere Titel wie „Ich lasse dich nicht!“ kamen als Buch, Film und Drama auf den Markt. Überhaupt die Titel: „Ich glaube an dich“ „Ich liebe einen Anderen“, „Heimchen, ich liebe dich“. So viel Süßholz musste die deutsche Leserschaft allein 1933 verkraften. Courths-Mahler hingegen musste mit ansehen, wie die Nazis an ihrer Popularität gut und gern mitverdienten. Als sie aus der Reichsschrifttumskammer austreten wollte, wurde ihr das verweigert: Es gingen immer noch Bücher von ihr über den Ladentisch.
Die Courths-Mahler zog sich erst in die Provinz an den Tegernsee und 1950 ins Jenseits zurück. Ihre Romane erhalten heute noch den Bastei-Lübbe-Verlag am Leben. Und ein Freundeskreis von Nachgeborenen hat es geschafft, das Gesamtwerk der Courths-Mahler nebst einer Handtasche der verehrten Autorin in nur zwei Zimmern des Heimatmuseums von Nebra unterzukriegen. Dort, wo alles angefangen hatte.