17. Jahrgang | Sonderausgabe | 28. Juli 2014

Geschichte Anhalts in Daten

von Thomas Zimmermann

Der erste Eindruck: Vorsicht! Ein Verein, der zur Regionalgeschichte publiziert? Oh mein Gott! Sitzt denn in solchen lokalpatriotischen Vergemeinschaftungen nicht immer irgendeine überambitionierte, prestigepromovierte Zimtziege im Vorstand oder wenigstens im Beirat und herrscht herrschsüchtig über ihren Hofstaat? Lungert da nicht immer so ein ewig gestriger Lokalmatador, der ja was Richtiges geworden sein könnte, wenn er sich gewissen finsteren Mächten angedient hätte – was er aber selbstverständlich nicht hat! –, und dessen Geschichtsbild sich in der Parole „Es war nicht alles schlecht“ erschöpft?
Und überhaupt: Welche Region in Sachsen-Anhalt hat es denn verdient und ist es wert, einer nicht nur ansässigen Leserschaft nähergebracht zu werden? Der Verein Studium Hallense sagt: Anhalt. Nun ist ein Verein aus „Studenten, Absolventen und Interessierten“ (so die digitale Selbstdarstellung) nicht unbedingt ein seriöser Gewährsmann. Aber in diesem Fall liegt er richtig: Das zwischen Alexisbad im Harz und Coswig an der Elbe mittig im Land gelegene Anhalt ist die einzige Region im ganzen Sachsen-Anhalt, die Geschichte atmet. Allen anderen Regionen im Land hingegen fehlt es an Bevölkerung oder Bewusstsein, um überkommunal und in historischen Dimensionen gedacht zu werden.
Aber in Anhalt… Da wird in Bernburg der anhaltinische Bär hochgehalten (und im Schlossgarten gefüttert), in Zerbst die Anhaltinerin Katharina als einzige Große der Weltgeschichte, in Köthen der anhaltinische Hofmusikus Bach und in Dessau – ach, Dessau! Vom anhaltinischen Weltkulturerbe, dem nahegelegenen Gartenreich, bis zur anhaltinischen Karl-May-Figur (und legendären Herrscherpersönlichkeit) „Alter Dessauer“, der bis in die jüngste Vergangenheit auch manchem Bordell im Umland den Namen gab, gibt es hier alles, inklusive echt anhaltinischen Prinz (allerdings in Berlin) und nicht echt anhaltinischen Prinz (irgendwo im Dekolleté von Zsa Zsa Gabor).
Kurz: Anhalt ist für so manche Geschichten gut, vom Klatschblatt über die seriöseste Gartenzeitschrift bis hin zur GeoEpoche. Dass die insgesamt bedeutungsvolle Geschichte Anhalts trotzdem noch nicht geschrieben wurde, erklärt sich vielleicht nur daraus, dass sie so umfangreich ist. Immerhin durchmachte der Kleinstaat in seinen 700 Jahren Monarchie und 100 Jahren Diktatur und Demokratie gefühlte 800 Erbteilungen und Kreis-, Gebiets- und Gaureformen, bis er auf die heutigen sieben Landkreise verteilt wurde, von denen nur einer den Hinweis Anhalt im Namen führt. Aber völlig unbeeindruckt von solchen tibetanischen Zuständen lebt hier die anhaltinische Geschichte, die ungeschriebene.
Auch die Studenten, Absolventen und Interessenten um Axel Voigt M.A. (weil es auf Seite 4 gleich drei Mal vermerkt ist, scheint es für wichtig befunden zu werden; es bedeutet aber eigentlich nur magister artium, zu Deutsch: mit Abschluss) haben diese Geschichte nicht geschrieben, wohl aber mit ihrem Band ein Datengerüst vorgelegt, das nicht nur Hobbyhistoriker und Regionalinteressierte begeistern kann: Es ist ausführlich, es ist nicht nur an der politischen Geschichte orientiert, es ist in recht großer Schrift gehalten. Kurz: Es ist lesenswert und mehr noch schmökernswert. Und zwar äußerst. Und äußerst umfangreich (am Ende gar komplett?) mit Stammtafeln, Karten und Regierungslisten hinten und Grußworten vom Ministerpräsidenten und dem Prinzen von Anhalt vorn. Dem Berliner Prinz von Anhalt, selbstredend. Denn es geht ja um die gewisse Geschichte und nicht um die gewissen Geschichten Anhalts.

Studium Hallense e.V. (Hrsg): Geschichte Anhalts in Daten, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014, 1.120 Seiten, 49,95 Euro.