17. Jahrgang | Nummer 7 | 31. März 2014

Ressourcenkontrolle und Selbstbestimmung für das Nigerdelta

von Anna-Maria Boulnois

Am 28.Januar 2014 trafen sich Vertreter unterschiedlicher ethnischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen aus dem Nigerdelta in Port Harcourt, der größten Stadt der Region. Verschiedene Organisationen unter der Leitung des Social Development Integrated Centre (Social Action) hatten zu dieser Konferenz eingeladen, damit die Positionen des Nigerdeltas für die seit Mitte März 2014 stattfindende National Conference formuliert werden. Letztere wurde in der Rede an die Nation zum 53. Jahrestag der Unabhängigkeit Nigerias von Präsident Goodluck Jonathan am 1. Oktober 2013 angekündigt. Es solle das Zusammenleben im Vielvölkerstaat und gleichzeitig bevölkerungsreichsten Land Afrikas neu organisiert werden. Zur Vorbereitung hatten sich einige Vertretungen der Menschen im Nigerdelta auf der Pan Niger Delta Conference (PNDC) zu einem eintägigen Treffen unter dem Vorsitz von Prof. Ebiegberi J. Alagoa und Co-Vorsitz von Prof. Ben Naanen (beide Historiker) versammelt.
Zur Eröffnung der PNDC wurde durch Dr. Isaac Osuoka, dem Leiter von Social Action und Vorsitzenden der Organisationsgruppe, deutlich gemacht, dass das Ziel dieser Zusammenkunft sei, die Forderungen nach Selbstbestimmung der ethnischen Minderheiten über die eigenen Ressourcen (im Falle der sechs vertretenen Bundesstaaten des Nigerdeltas: Erdöl) gemeinsam zu formulieren. Unterstützt wurde er durch den bekannten Umweltaktivisten und Juristen Nnimmo Bassey, der sich neben vielen anderen seit Jahren verstärkt unter anderem für die Reinigung der Umwelt in den ölverseuchten Gebieten des Landes einsetzt. Dies wird auch durch die Forderung der ebenfalls vertretenen Ogoni nach der Implementierung des UNEP-Reports von 2011 über die Lage in ihrem Land unterstrichen. Die Probleme des Deltas seien nicht mit der Präsidentschaft eines Mannes aus dieser Region seit 2011 verschwunden, wie alle Sprecher und Teilnehmer auf der PNDC betonten. Die Bestrebungen nach einer Neustrukturierung des föderalen Systems und der Gesellschaft lassen sich sowohl in den Forderungen der pro-Demokratiebewegung aus den 1990er Jahren, die sich gegen die Diktatur von Sani Abacha (1993-1998) richtete, als auch in Verlautbarungen verschiedener ethnischer Gruppen aus den letzten Jahrzehnten wiederfinden. Osuoka geht davon aus, dass sich nur auf der Grundlage eines auf Gleichheit und Gerechtigkeit für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung beruhenden Staates die vorhandenen Potentiale im Land entwickeln lassen. Dies sei auch wichtiger, als die anstehenden allgemeinen Wahlen 2015. Hinter dieser Forderung steht neben vielen anderen Problemen im Land die spezielle Situation im Nigerdelta. Dass der angebliche Reichtum aus der Erdölförderung (die Haupteinnahmequelle des Staates) hauptsächlich in dieser Region gewonnen wird, die Menschen gleichzeitig aber am meisten unter den Folgen der ökonomischen Abhängigkeit der Dutch Desease sowie den ökologischen Folgen einer Jahrzehnte langen Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu leiden haben – dieser Widerspruch muss auf nationaler Ebene nachhaltig und zeitnah gelöst werden.
Die National Conference sollte sich nach dem Abschluss-Communiqué der PNDC auf Grundlage der 384 ethnischen Gruppen im Land zusammensetzen. Damit sollte gewährleistet werden, dass Minderheiten mit ihren Anliegen dort Gehör finden. Diese in den Medien sehr kontrovers diskutierte Forderung wurde allerdings nicht durch den Präsidenten umgesetzt. Dennoch sind Dr. Osuoka, Jurist Bassey und andere, die auf der PNDC diskutiert haben oder zum Kreis der „Vertrauten“ der Organisatoren gehören, in der Hauptstadt Abuja und bringen sich engagiert in die Diskussionen ein. Die Forderungen der Gruppen und Einzelpersonen aus dem Nigerdelta sollen dort vorgetragen werden, um Einfluss auf die Ergebnisse der Konferenz zu nehmen. Dieser Idee haben sich auch Aktivisten und Vertreter anderer ethnischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen aus dem ganzen Land angeschlossen. Auch wollen diese Vertreter der Bevölkerung, wie durch das Communiqué gefordert, dass eine neue Verfassung entsteht, die diejenige von 1999 ersetzt. Bestätigt werden soll diese, wie auch alle anderen Ergebnisse der National Conference, nicht – wie von der Regierung geplant – durch die Nationalversammlung (die ja ein Teil des kritisierten Systems ist), sondern durch einen Bevölkerungsentscheid.
Der Vorsitzende der Kommission zur Planung der National Conference hatte gleich zu Beginn der Veröffentlichung der Modalitäten für die Konferenz gesagt, dass die Einheit des Landes nicht verhandelbar sei. Doch genau diese wird in den Medien und der allgemeinen Bevölkerung ständig diskutiert und auch auf der PNDC ein Forum gehabt, da unter anderem Tony Nnadi, der Vorsitzende des Lower Niger Congress, auf dem Podium sprechen durfte. Dieser vertritt, wie er in einem Interview mit mir sagte, die Ansicht, dass die aktuellen gesellschaftlichen Probleme auf die Zusammenführung des nördlichen und südlichen Protektorats durch die britische Kolonialmacht 1914 zurückzuführen sind. Dieses ließe sich nach ihrer Ansicht nur durch eine vier-Regionen-Aufteilung des Landes auflösen. Neben dieser radikalen Einzelmeinung waren die meisten Teilnehmer an der PNDC der Ansicht, dass die Neustrukturierung des Staates die zentrale Forderung sein sollte und eine Aufspaltung erst nach einem Scheitern dieser zur Diskussion stünde.
Es bleibt abzuwarten, ob die Vertreter der ethnischen Gruppen und der Zivilgesellschaft ihre mediale und politische Plattform auf der National Conference zugunsten ihrer Ideen und Forderungen nutzen und im Idealfall entscheidenden Einfluss auf die neue Verfassung, zumindest aber auf die Entscheidungen der Versammlung nehmen können. Für das Nigerdelta ist es auf jeden Fall eine sehr positive Entwicklung, dass die regionalen Vertretungen mit ihren Forderungen eine gemeinsame Stimme auf der PNDC entwickelt haben und diese national artikulieren. Es sollen weitere Treffen stattfinden, die eine Zusammenarbeit in der Region ermöglichen werden, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, unabhängig von den Ergebnissen der National Conference.

Anna-Maria Boulnois ist Studentin der Ethnologie und Pädagogik an der Universität Mainz und lebt in Mainz.