17. Jahrgang | Nummer 7 | 31. März 2014

Charlottes Erbe kehrte zurück

von Klaus Teßmann

Dieser 11. April wird den Mitgliedern des Fördervereins Gutshaus Mahlsdorf für immer in Erinnerung bleiben. Vor zehn Jahren war der 11. April 2004 der Ostersonntag. Für die Mitglieder des Fördervereins ein ganz besonderer Tag, denn erstmals seit sieben Jahren konnte wieder die komplette Gründerzeitsammlung von Charlotte von Mahlsdorf der Öffentlichkeit gezeigt wieder werden. Der Ansturm war groß. Allein an diesem Ostersonntag kamen 390 Gäste ins Museum, am folgenden Mittwoch waren es noch einmal 147. „Wir haben zwar mit einem Ansturm gerechnet“, meinte Monika Schulz-Pusch, Geschäftsführerin des Fördervereins, „aber dass das Interesse so groß ist, hat uns doch überrascht.“
Nach sieben Jahren im schwedischen Porla Brunn kehrte die Gründerzeitsammlung von Charlotte von Mahlsdorf wieder nach Berlin zurück. Damit war die Gründerzeitsammlung im Gutshaus Mahlsdorf bald wieder komplett.
Das ist nun schon wieder zehn Jahre her. Die Geschichte dieser Reise der Sammlung begann im Frühjahr 1995. Charlotte von Mahlsdorf (Lothar Berfelde) schloss nach 35 Jahren ihr Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf. Zwei Jahre später verließ sie mit einem großen und schönen Teil ihrer umfangreichen Sammlung ihre Heimatstadt Berlin. Sie wanderte mit großen Teilen ihrer Sammlung nach Porla Brunn in Mittelschweden aus und hat dort bis zu ihrem Tode am 30. April 2002 das Jahrhundertwendemuseum geführt. Die Gründe dafür waren sehr vielfältig. Hauptgrund ist sicherlich, dass sie sich von der Kulturpolitik der Stadt Berlin vernachlässigt fühlte. Denn schließlich sprach sie es eindeutig in einem Fernsehinterview aus, dass sie in ihr „kulturpolitisches Asyl“ gegangen ist. Zum anderen kommen noch die neofaschistischen Aktivitäten Anfang der 90er Jahre im damaligen Bezirk Hellersdorf dazu. Am 25. Mai 1991 überfielen Neonazis das Lesben- und Schwulenfest mit über 500 Gästen im Park des Gutshauses. Nach diesem Überfall durch Neonazis äußerte Charlotte erstmals den Gedanken in ein tolerantes Land auszuwandern. Dazu kam dann ein Schlag ins Gesicht, als der damalige Kultursenator von Berlin am 30. Mai mitteilte, dass ihr Vertrag mit der Stadt zur Überlassung des Hauses ungültig ist. Das wurde zwar später vom Senat zurückgenommen, aber da war Charlotte schon längst in Schweden.
Damit gab es zwei Teile der größten europäischen Sammlung von Einrichtungsgegenständen und mechanischen Musikmaschinen aus der Gründerzeit. Eine in Schweden und die zweite in Berlin, die seit Juni 1997 vom Förderverein Gutshaus Mahlsdorf betreut wird.
Nachdem Charlotte von Mahlsdorf am 30. April 2002 plötzlich und unerwartet verstorben war, hätte ihr Erbe an den schwedischen Staat gehen sollen. Der schlug dieses Vermächtnis aber aus. Damit ergab sich die Möglichkeit, beide Teile der Sammlung wieder in Berlin zu vereinen.
Doch so einfach war es gar nicht. Eigentlich sollte die Sammlung erst in der ersten Maiwoche 2004 zurück nach Berlin kommen. Der Förderverein wollte alles in Ruhe vorbereiten, aber plötzlich verschoben sich die Termine, bis Ostern sollte alles erledigt sein. Drei Vereinsmitglieder nahmen Urlaub, Ralf Finger Inhaber des Mahlsdorfer Hochzeitausstatters „Diva“ besorgte sich für drei Tage eine Verkäuferin, der Grafiker Michael Schwalbe ließ alles stehen und liegen und Detlef Pusch, Elektriker in einer Baufirma machte sich für eine Woche frei, um mit nach Schweden zu fahren. „Der Vorstand hatte mich beauftragt, ein Transportunternehmen zu finden“, erinnert sich Monika Schulz-Pusch. „Wichtig war, dass es ein Spezialtransporter war, der Antiquitäten transportieren konnte.“ Der Förderverein musste innerhalb weniger Tage das Geld besorgen. „Wir hatten noch 10.000 Euro auf dem Spendenkonto“, erinnert Monika Schulz-Pusch. „Die waren eigentlich als Grundstock für die Sanierung der Treppe gedacht.“ Also begannen die Telefongespräche mit dem Sponsor Daimler-Benz. Schließlich lag die Zusage vor, dass die Spende auch für den Transport verwendet werden konnte. „Weil wir uns keine Möbelpacker mehr leisten konnten, fuhren wir zu viert nach Porla Brunn“, erinnert sich Monika Schulz-Pusch. Zuvor musste in Berlin noch ein Anhänger besorgt werden, Spezialfolie mit Luftkammern zum Verpacken der Möbel, viel Klebeband und alles, was man sonst noch für einen so großen Umzug braucht.
In Porla Brunn warteten große Aufgaben. Innerhalb von drei Tagen hatten die vier Vereinsmitglieder über 40 Möbelstücke und Einzelteile sowie 120 Umzugskisten gepackt. Es waren die Schränke von fünf Zimmern. Darunter waren drei Klaviere, Schreibtische – große Möbelstücke aus der Gründerzeit, die sich auch nicht auseinander nehmen ließen. Aber auch die vielen Einzelteile machten Arbeit. Alle Schränke waren voller Geschirr – Figuren, Vasen, Schalen, Leuchter mussten eingewickelt und sorgfältig verpackt werden. „Zum Glück fanden wir auf dem Boden von Charlotte noch ihre Umzugskiste von 1997. „Wir hatten nur drei Tage Zeit für diese Aktion“, erzählt Monika Schulz-Pusch und „deshalb kaum geschlafen.“
Doch groß war die Überraschung der vier Leute als statt der bestellten Möbeltransporter einfache LKWs auf den Hof fuhren. Die Lastzüge hatten Kaffee nach Schweden gebracht und sollten auf dem Rückweg die Möbel mit nach Berlin bringen. Sie waren nicht ausgepolstert, es fehlten die Spanngurte und vor allem, es fehlte die Hubbühne, um die Möbel in die LKWs zu schieben. Improvisieren war angesagt.
„Um die Möbel von der Straße auf die Ladefläche zu bringen, haben wir uns eine Rampe gebaut“, berichtet Detlef Pusch. „Die Rampe haben wir aus Paletten gebaut, die wir uns bei der örtlichen Getränkefabrik ausgeliehen hatten.“ Die vier Vereinsmitglieder standen mächtig unter Druck, denn die Karten für die Rückfahrt auf der Fähre waren gebucht.
Die Vereinsmitglieder in Berlin waren aber in der Zeit auch nicht untätig. Sie hatten fleißig Möbel gerückt und die Zimmer frei geräumt. Nach der Pleite mit den LKWs ohne Hubbühne bauten sie eine große Rampe, damit die LKWs rückwärts auf den Hof fahren konnten. Das musste sein, weil keiner die schweren Möbel über die Treppe ins Haus tragen wollte. So konnten sie von der Ladefläche gleich in die Zimmer gerollt werden. Nach anstrengenden Tagen war die Freude bei allen groß, dass nun die Gründerzeitsammlung wieder komplett ist.
Zu den schönsten Einrichtungen, die aus Schweden zurückgekommen waren, gehörten das Kaminzimmer, das Jagdzimmer und eine Küche. Seit dem 11. April 2004 steht die größte und bedeutendste Gründerzeitsammlung Deutschlands wieder im Gründerzeitmuseum Berlin-Mahlsdorf.