16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Antworten

Jakob Augstein, Herausgeber des Freitag und Kolumnist bei Spiegel-online Mit Blick auf die (in diesem Falle via Jürgen Fitschen, dem Co-Chef der Deutschen Bank, per Grundsatzrede) einmal mehr erwiesene Unbelehrbarkeit der Finanzwirtschaft haben Sie in einer Kolumne gefolgert: „Die Gewinne fließen an die Aktionäre, die Boni fließen an die Banker – aber das Risiko trägt der Staat. Daran hat sich seit der Finanzkrise nichts geändert. Es ist ein unmoralisches System. Und es hat mit Marktwirtschaft gar nichts zu tun. Es ist eine perverse Form des Klientel-Kapitalismus. Eine staatlich sanktionierte Ausbeutung der Allgemeinheit.“ Treffender geht’s nimmer. Es steht nur zu befürchten, dass sich das nicht ändert, denn Ihre Frage: „Wann wehrt sich die Zivilgesellschaft?“ bleibt weiter ohne wirkungsvolle Antwort.

Nikolaus Blome, Leiter des Hauptstadtbüros und Mitglied der Geschäftsleitung des Spiegel Anfang November lag die offizielle Anzahl der Arbeitslosen in Deutschland bei 2,806 Millionen. Jeder halbwegs Informierte weiß darüber hinaus, dass sich die Dunkelziffer von aus der Nürnberger Statistik trickreich entweder heraus- oder gar nicht erst hineingerechneten Arbeitslosen auf weitere etwa 800.000 summiert. Sie nannten das dieser Tage in einem Kommentar „fast Vollbeschäftigung im Land“. Natürlich! Schließlich waren Sie zuvor ja stellvertretender Chefredakteur bei BILD. Nur wir müssen uns noch daran gewöhnen, das Magazin künftig eher wie die Gazette zu lesen.

Christian Lindner, designierter FDP-Chef – „Wenn eine Partei miteinander umgeht als seien das alles Ego-Taktiker, dann entsteht der Eindruck, dass diese Partei kalt ist und offensichtlich auch für das Gesellschaftsbild einer Wolfsgemeinschaft, eines Rudels steht“, haben Sie mit Rückblick auf das Erscheinungsbild Ihrer Partei in der jüngeren Vergangenheit resümiert; wir können dem nicht widersprechen. Inwieweit Ihre Erklärung, die Liberalen seien „keine Kapitalisten“, denn der Kapitalist liebe nicht den Markt und den Wettbewerb sondern wolle das Monopol, um die größtmöglichen Gewinne zu erzielen“, wohingegen der Marktwirtschaftler für den Wettbewerb kämpfe, weil er die „Macht Einzelner über Viele begrenzt“, wird sich per erneuerter FDP zeigen – wir sind unglaublich gespannt.

Katie Melua, Sängerin – „Wenn man seinen Kindern nichts zu essen kaufen kann, denkt man vermutlich nicht in erster Linie an staatliche Meinungskontrolle“, sagten Sie in einem Interview – angesprochen auf die Zensurpraktiken in ihrer georgischen Heimat. Uns scheint dies ein nicht ganz von der Hand zu weisender Gedanke zu sein.

Joe Tödtling, Entflammter – 5 Minuten und 41 Sekunden haben Sie im Feuer gestanden und damit einen neuen Rekord-Eintrag im einschlägigen Guinness-Buch erwirkt. Waren wir bei der Kenntnisnahme dieses Weltrekordes im „In-Flammen-Stehen“, wie diese Leistung offiziell genannt wird, voll neidvollem Stolz auf Sie, hat sich das abrupt in Enttäuschung gewandelt, als wir lasen, dass Sie Weichei einen Spezialanzug mit brandhemmenden Materialen getragen hätten. Wetten, dass sich in der Disziplin „Längster Ganzkörperbrand ohne Sauerstoffversorgung“ in zehn Jahren nur noch dann Aufmerksamkeit erzielen lässt, wenn man solchen Firlefanz weglässt?

George W. Bush, fleischgewordener Albtraum – Wiederaufgetaucht in einer TV-Talkshow haben Sie, rückblickend auf Ihr Amt als 43.Preäsident der USA, bekannt: „Ich hab mein Bestes gegeben.“ Sich auszudenken, wie erst alles andere ausgesehen hätte, überfordert die Leidensfähigkeit unserer Phantasie.

Peter Löscher, gegangener Siemens-Chef – Nach zwei Gewinnwarnungen haben Sie Ihren Posten räumen müssen. Über Gebühr müssen Sie darob aber nicht trauern, schließlich wird Ihnen der Abgang mit einer Abfindung von 15 Millionen Euro versüßt, zu denen nochmal eine Sonderzahlung von 2,2 Millionen Euro als eine einigermaßen gelinde Altersversorgung kommt. Erfolglosigkeit in Deutschland kann schon Spaß machen, man muss nur wissen, wo man sie sich leisten kann.

Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrats – Sie haben die Basisbeteiligung der SPD an den Koalitionsverhandlungen harsch kritisiert: „Dass das Schicksal unseres Landes in den Händen einiger zehntausend SPD-Mitglieder liegt, ist eine Perversion des Ergebnisses der Bundestagswahl.“ Hinzuzufügen haben Sie dabei vergessen, dass Ihre siegreiche Partei ja auch nur eine Minderheit der deutschen Wählerschaft vertritt, denn von den 61, 8 Millionen Wahlberechtigten haben lediglich 71,5 Prozent gewählt, und von denen wiederum hat die CDU 34,1 Prozent der Stimmen erhalten. Und wenn von Perversion die Rede ist, dann sei auf die Allmacht der auch von Ihrem Verband politisch freundlich begleiteten Finanzmagnaten hingewiesen, denen in unserer Gesellschaft zahlenmäßig bestenfalls der Rang von Spurenelementen zukommt.

Roland Habich, Leiter des Zentralen Datenmanagements des Wissenschaftszentrums Berlin – „Überspitzt könnte man die Befunde treffend so charakterisieren: Arme sterben früher“, haben Sie als Co-Autor des „Sozialatlas über die Lebensverhältnisse in Deutschland“ bei dessen soeben erfolgten Vorstellung resümiert. Sie nahmen dabei Bezug auf die statistische Tatsache, dass arme Männer und Frauen ein 2,7- beziehungsweise ein 2,4-fach erhöhtes Sterberisiko haben. Die mittlere Lebenserwartung von Männern der unteren Einkommensgruppe liege fast elf Jahre unter jener von Topverdienern. Bei Frauen betrage die Differenz rund acht Jahre. Der Anteil der armutsgefährdeten Personen (wer weniger als 980 Euro im Monat zur Verfügung hat) stieg seit 2007 von 15,2 auf 16,1 Prozent. Besonders bei den 55- bis 64-Jährigen habe sich das Armutsrisiko verschärft. Das mag alles sein, finden wir, es ändert freilich nichts an der weiterhin gültigen Feststellung Angela Merkels aus der Generaldebatte des Bundestags im September 2011: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor.“ Wetten, dass?

Abini Zöllner, geschätzte Redakteurin der Berliner Zeitung – Sie haben unlängst einen wunderbaren und berührenden Text über den Abschied von Ihrer Mutter geschrieben, für den wir respektvoll zu danken haben. Eher am Rande haben Sie dabei Ihren Vater zitiert, der, aus Nigeria stammend, erst in Moskau und dann in Berlin gelebt und gearbeitet hat, bevor er 1973, enttäuscht vom realen Sozialismus, wieder in sein Heimatland zurückkehrte. Die Begründung dafür soll hier wiedergegeben sein, denn sie ist  zumindest für viele, viele realsozialistisch Aufgewachsene ebenso knapp wie präzise und nachvollziehbar: „Sozialismus funktioniert nicht, solange Menschen daran beteiligt sind.“ Kurt Tucholsky hat eine entsprechende Ahnung viele Jahre zuvor so formuliert: „Der Sozialismus wird erst siegen, wenn es ihn nicht mehr gibt.“