16. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2013

Aus dem Nähkästchen

von Jürgen Scherer

Mitternacht. Bar in FFM. Tresen:
Wie immer? – Wie immer!
War wohl ein harter Tag? – Na ja, eigentlich wie immer.
Also erfolgreich? – Mehr als das: formidabel!

Nun ja, ich mach‘ das schon seit Jahrzenten – die Versammlungsleitung. Da haste Routine, da wirste mit jedem Kretin da unten fertig. Die meinen immer noch ihnen gehörte die Bank, reden von uns, unserer Bank, unseren Aktien, unserem Kapital. Kapieren nicht, dass sie für UNS die nützlichen Idioten spielen. WIR sind das Kasino. WIR führen die Geschäfte. Aber einmal im Jahr muss man damit leben, dass die da unten im Saal ihren Brass los werden wollen. Iss wie im Beichtstuhl. Hinterher wird alles vergeben, ein bisschen gebüßt und weiter läuft die Scheibe.
Hat sich doch ein ganz Kritischer entblödet und bringt so einen Regenwaldhäuptling mit. Der steht dann neben ihm wie Klein-Erna, während der kritische Aktionär die Welt erklärt, in der Moralsauce rührt. Ja geht´s noch: die Wilden als lebendes Ausstellungstück, angeblicher Beweis für UNSRE Unmenschlichkeit! Dabei haben WIR mit dem Fonds, der da arbeitet, gar nichts am Hut; der wurde von uns aufgelegt und dann outgesourct – so what?
Und dann diese Tussi von der „Rettet die Welt“-Liga. Meint, sie könnte uns ans Bein pinkeln, weil wir den Palmölanbau fördern. Na gut, da gibt´s Unregelmäßigkeiten. Da werden vielleicht ein paar alte Bäume zu viel gefällt und ein paar Ureinwohner etwas unsanft gebeten, ihr Land zu verlassen. Aber mit UNS kann man doch reden. WIR werden mit den Ausbeutern sprechen und ihnen sagen, dass sie mit etwas mehr Verständnis für die Leute dort arbeiten sollen. WIR sind ja keine Unmenschen.
Kriege würden wir fördern, Blut klebe an unseren Händen. Das sind vielleicht Argumente. Weil wir der deutschen Rüstungsindustrie ein bisschen unter die Arme greifen, damit sie ihre Leos los wird. Das ist doch legal, das will doch unsere Regierung. Wir sind doch wieder wer in der Welt. Da muss man doch Verantwortung übernehmen. Gerade als GlobalPlayer.
Na ja, als Versammlungsleiter hat man da ja so seine Tricks drauf, um die da unten mürbe zu machen. Erst mal darf sich jede und jeder zum Reden anmelden. Wenn das passiert ist, sagst du dann: Damen und Herren, es stehen 50 Redner*innen auf der Liste. Schon geht ein erstes Stöhnen durch die Reihen – das kann ja dauern… Jetzt kommt mein Sedativum: Jeder hat das Recht zu reden, aber ich muss die Redezeit begrenzen. Beifall vom Saal, und mein Boden ist bereitet. Danach kann ich nach gusto schalten und walten: Wessen Argumente mir zusagen, die oder den lasse ich ein bisschen überziehen. Die anderen werden ganz demokratisch unter das Diktat der Zeit gestellt. Punkt für die Bank!
Und dann noch die Fütterung. Da lassen wir uns nicht lumpen, da sorgen wir für einen exzellenten Caterer, das zahlen wir aus der Portokasse, und das zahlt sich aus. Mit dieser Beschäftigungstherapie – permanente Essenaufnahme und Verdauung – sorgen WIR dafür, dass sich eine gewisse Schläfrigkeit breit macht. Es dauert nicht lange, und im Saal herrscht eine messbar große Gelassenheit. Die Versammlung wird ruhiger, die Chancen für die Krawallaktionäre auf große Zustimmung tendiert gegen Null. Weiterer Punkt für die Bank!
Die Krönung der Messe ist für mich immer der Kleinaktionär, der ans Rednerpult tritt und mit großer Pose verkündet, er fühle sich mit seiner Bank nicht mehr wohl, früher sei alles besser gewesen, und im Übrigen sei die Dividende mal wieder nicht hoch genug. Sieg auf der ganzen Linie!

Jürgen Scherer ist LiR (Lehrer im Ruhestand) und lebt in Alsbach bei Darmstadt.