16. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2013

Politischer Dialog statt Stellvertreterkrieg in Syrien

von Claudia Haydt

Zwei internationale Syrien-Konferenzen fanden Ende Januar 2013 parallel statt; eine in Genf und eine in Paris; die eine auf Einladung des französischen Außenministers Laurent Fabius und die andere auf Einladung einer norwegischen NGO. An beiden Orten traf sich die syrische Opposition. Der Inhalt der Konferenzen hätte jedoch kaum unterschiedlicher sein können. Die Weltpresse bot der in Paris geäußerten Forderung von Oppositionsvertretern nach besserer Bewaffnung und mehr westlicher Unterstützung eine breite Plattform. Die Europäische Union erwägt in Folge dessen eine Lockerung des Waffenembargos gegen Syrien, um die Opposition noch besser ausrüsten zu können. Die trotz aller Hindernisse zahlreich versammelten Oppositionsvertreter in Genf hatten andere Prioritäten: Sie sprachen sich mehrheitlich für ein Ende der Gewalt und den Einstieg in einen politischen Prozess aus.
Unter dem Motto „For a Democratic Syria and a Civilian State“ traf sich am 28./29. Januar 2013 in Genf ein breites Spektrum der demokratischen Opposition. Die wesentlichen Organisatoren stehen dem „Koordinationskomitee für demokratischen Wandel in Syrien (NCB)“, einem Zusammenschluss linker Oppositionsgruppen nahe. Unter den Teilnehmern waren jedoch auch demokratisch-islamische Kräfte und solche, die die Freie Syrische Armee unterstützen. Darunter waren sowohl Exil-Syrer als auch Oppositionsvertreter, die direkt aus Syrien angereist waren. Mindestens ein Oppositionsvertreter konnte nicht an der Konferenz teilnehmen, da er von Vertretern des Assad-Regimes verhaftet worden war. Mehr als 60 Personen konnten nicht in die Schweiz einreisen, da ihnen von den Schweizer Behörden ein Visum verweigert wurde.
Die Konferenz wurde von der UN unterstützt und UN-Vertreter nahmen als Beobachter teil. Ein solcher organisatorischer Rahmen sorgt in der Regel dafür, dass die Erteilung von Visa weitestgehend problemlos verläuft. Die Organisatoren vermuteten, dass die restriktive Visaerteilung auf Druck Frankreichs zustande kam. Einige der Syrer konnten wenigstens noch über Skype mit ihren Redebeiträgen zugeschaltet werden. Da aber, wie bei den meisten Konferenzen, das Wichtigste in den Pausen und am Rande der Konferenzen stattfindet, war die Abwesenheit von wichtigen Personen ein ernsthaftes Problem für die Dynamik der Konferenz.
Haytham Manna, Leiter der Genfer Konferenz und Auslandssprecher des NCB, machte in seiner Eröffnungsrede klar, dass der brutale Bürgerkrieg den sozialen Zusammenhalt in Syrien dauerhaft zerstöre und dass das Ziel, Assad zu beseitigen, nicht jedes Mittel rechtfertige. Die Wahl der Mittel forme die Zukunft: „Es gibt keinen einzigen Fall eines militärischen Sieges in einer vergleichbaren Situation, der nicht die Saat des Extremismus, der Vernichtung und der Rache in sich trug. Wir haben vor den Folgewirkungen der Gewalt auf den sozialen Zusammenhalt, den sozialen Frieden und die Einheit Syriens gewarnt und werden dies auch weiterhin tun.” Lakhdar Brahimi, der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, äußerte am 29.01.2013 sinngemäß das Gleiche in einem internen Bericht an den UN-Sicherheitsrat: „Das Land bricht vor den Augen aller auseinander; es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt – wenigstens keine, die nicht Syrien vollständig zerstört.“
Die in Genf versammelten Oppositionsvertreter stützten diese Einschätzung. „Es gibt kein Syrien mehr, nur noch viele Mini-Syrien“ beschrieb ein Teilnehmer, der sich und die Anwesenden fragte: „Woher kommt dieses Ausmaß der Gewalt, nicht nur zwischen Regie- rungstruppen und Opposition, sondern auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen?“ Nahezu alle Teilnehmer schilderten, dass die Dynamik des Konfliktes nicht mehr von Syrern bestimmt werde, sondern von zahlreichen externen Akteuren mit gesteuert werde. Immer wieder war die Rede von einem Stellvertreterkrieg, der in Syrien tobe. Damit war im engeren Sinne der Iran auf der einen und die Golfstaaten auf der anderen Seite gemeint; aber auch die geostra- tegischen Machtkämpfe der Türkei, Israels, Russlands, der USA, Frankreichs und der anderen NATO-Staaten. Während der zweitägigen Konferenz äußerte keiner der Anwesenden die Ansicht, dass mehr Waffen für die Opposition eine Lösung wären. Im Gegenteil befürchteten die meisten, dass noch mehr Waffen zu weiterer Eskalation führen würden. Alle sprachen sich gegen eine militärische Intervention aus und machten zudem klar, dass die internationalen Sanktionen vor allem die Bevölkerung treffen. Nach 22 Monaten Bürgerkrieg ist offensichtlich, dass weder das Regime noch die Opposition die Oberhand behalten können; beide weder gewinnen noch verlieren können und im erbitterten Kampf das gesamte Land zerstört wird.
Um die Zukunft Syriens wieder in die Hand der syrischen Bevölkerung legen zu können, wurde am Ende der Konferenz ein Aktionsplan für die Einleitung eines politischen Prozesses besprochen und damit auch ein politischer Rahmen für Gespräche mit der Assad-Regierung geschaffen. Die so genannte „Genfer-Erklärung“ fordert unter anderem einen gleichzeitigen Waffenstillstand von Regierung und Opposition und die „Einleitung eines politischen Prozesses durch Verhandlungen zwischen der Opposition und dem Regime“. Interessant ist, dass gegen den Widerstand aus seinen eigenen Reihen auch der Vorsitzende des unter westlichem Druck in Doha geschmiedeten Oppositionsbündnisses „Syrische Nationale Koalition“, Ahmed Moas Al-Chatib, zwischenzeitlich laut afp zu Verhandlungen aufgerufen hat. Er forderte die syrische Regierung explizit auf, den Vize-Präsidenten Faruk Al-Shara als Verhandlungspartner zu benennen.
Dass diese Vorschläge Al-Chatibs auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz diskutiert wurden, ist kaum ein Grund zur Hoffnung. Wesentliche externe Kräfte, namentlich die US- Administration, Frankreich und die Golfstaaten, gehen inzwischen auch von der schlussendlichen Notwendigkeit von Verhandlungen aus, allerdings erst nachdem durch massive militärische Unterstützung der Opposition deren Verhandlungsposition gestärkt worden ist. Von Roger Cohen in der New York Times wird diese militärische Unterstützung auch als „aggressives Trainings- und Bewaffnungsprogramm“ beschrieben, das zu zahlreichen weiteren Toten und zu einer Vertiefung des Bürgerkriegs führt. Diese Folge scheint westlichen Machtstrategen egal zu sein. Die Genfer Erklärung will deswegen einen politischen Verhandlungsprozess, der sofort beginnt, nicht erst nach einem hypothetischen Sieg und nach noch mehr Leid und Zerstörung.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin dem Magazin der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. AUSDRUCK entnommen. Mehr Informationen unter www.imi-online.de