16. Jahrgang | Sonderausgabe | 11. Februar 2013

Mit Lust in den Frust?

von Heerke Hummel

Etwa ein halbes Jahrzehnt dümpeln Europa und die industrialisierte Welt nun schon durch eine Dauerkrise mit immer neuen Facetten. Kein Wunder also, dass die durchaus nicht neue Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) für jeden Staatsbürger kräftig an Fahrt aufgenommen hat und Zuspruch in allen politischen Lagern sowie sozialen Schichten findet. Der Titel „Irrweg Grundeinkommen“ kündigt bereits die Stoßrichtung eines Buches an, das Illusionen beseitigen soll und sich darum sehr gründlich mit einem solchen Vorhaben auseinandersetzt. „Die Art der Verteilung der Einkommen ist entscheidend für das Funktionieren der Wirtschaft“, heißt es darin gleich zu Beginn, „und deswegen sind Verteilungsfragen zutiefst und zuerst wirtschaftspolitische Fragen und können nicht befriedigend beantwortet werden, ohne sie in den Kontext einer erfolgversprechenden wirtschaftspolitischen Konzeption zu stellen.“
Dieser sich selbst gestellten Aufgabe werden die Autoren Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper auf eine Weise gerecht, die es wohl auch dem ökonomisch nicht sonderlich Gebildeten ermöglicht, ihrer Argumentation zu folgen. Zunächst stellen sie die in Deutschland am meisten diskutierten Modelle eines BGE vor und unterziehen sie einer kritischen Analyse. Dann unternehmen sie einen wirtschaftspolitischen Rückblick und beleuchten die Ursachen des nicht endenden Wirtschaftsdesasters der jüngeren Vergangenheit mit umfangreichem statistischen Material, das den wirtschaftspolitischen Kurswechsel im Gefolge eines neuen, neoliberalen ökonomischen Weltbildes seit den 1970er Jahren belegt. Deutlich wird dabei die von Deutschland im Unterschied zu anderen europäischen Staaten jahrelang verfolgte Wirtschaftsstrategie einer starken Lohnzurückhaltung (im Verhältnis zur Produktivitätsentwicklung) hervorgehoben, die maßgeblich die derzeitigen Ungleichgewichte in der EU mit verursachte. Man könnte diesen Teil auch als eine volkswirtschaftliche Analyse aus praktischer Sicht und darum auch für Laien verständlich und bildend bezeichnen.
Das Fazit ist die (wenn auch banale) Erkenntnis, dass eine (Markt-)Wirtschaft nur funktioniert, wenn verbraucht wird beziehungsweise verbraucht werden kann, was produziert wurde. (Und Deutschland als Exportweltmeister hat nach neuesten Angaben einen jährlichen Außenhandelsüberschuss von mehr als 200 Milliarden Dollar.) In Deutschland, schreiben die Autoren, wurde die Politik einer einseitigen Förderung der Unternehmensgewinne durch den Staat und durch die Tarifpartner so weit getrieben, dass die Unternehmen buchstäblich nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Auch weisen sie nach, dass höheres Einkommen der wohlhabenden Gesellschaftsschichten dank verringerter Steuern nicht über höhere Ersparnis und Kapitalakkumulation zu mehr Investitionen geführt haben. Stattdessen floss das Geld zu einem erheblichen Teil in die Spekulationsblasen der Finanzmärkte.
Andererseits kann aber auch nur verbraucht werden, was produziert wurde. Und hier schließt sich der Kreis der Überlegungen: „Wenn sich alle Bürger eines Landes auf den Anspruch des bedingungslosen Grundeinkommens berufen und nur das tun, was ihnen gerade Spaß macht, was aber nicht notwendigerweise am Markt von irgendjemand anderem nachgefragt wird, gibt es keine ausreichende materielle Grundlage, aus der heraus die gesetzlichen Ansprüche jedes einzelnen gegen den Staat, gegen die ‚Allgemeinheit‘, bedient werden können.“ Das Thema Grundeinkommen sei durch Angst aufgekommen, heißt es an anderer Stelle: Angst um Art und Bezahlung der Arbeitsplätze, um die Leistungsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung sowie um die fortschreitende Umverteilung von unten nach oben durch den Staat und durch die Tarifpartner. Das Thema widerspiegele aber auch die große Illusion bei vielen, man könne mit einer einzigen Maßnahme, mit einem heilbringenden Konzept, diese Probleme alle auf einmal lösen und zudem die Bedürftigkeitsprüfung der Transferbezieher ein für allemal beseitigen. Das Grundeinkommen, so die schließliche Feststellung, kann eine grundlegend falsche Primärverteilung, wie sie derzeit herrscht, nicht korrigieren. Das grundlegende ökonomische Bindungselement der Gesellschaft (neben ethischen, sozialen und historischen natürlich), bestehe darin, dass Arbeitsteilung produktiver ist als Autarkie und lohnend sein muss für alle (nicht nur für einige), damit alle eine hohe Motivation haben, bei der Arbeitsteilung mitzumachen und sich nicht auszuklinken. In diesem, übrigens in allen Teilen des Buches zutage tretenden ökonomischen Realismus liegt seine Stärke und Überzeugungskraft.
Vehement warnen die Autoren vor revolutionären Lösungsversuchen für Probleme der heutigen Gesellschaft. Man könne sich zwar wunderschöne Modelle ausdenken, in denen Milch und Honig fließen. Doch in Wirklichkeit gebe es nur ganz wenig erprobte und zugleich erfolgreiche Arten des Wirtschaftens. In dem Buch wird von einer sinnvollen Balance zwischen Markt und staatlicher Steuerung gesprochen, die durch ständige Korrekturen in kleinen Schritten anzusteuern sei. Den Autoren ist zuzustimmen in der Auffassung, völlig neue und unerprobte Regelungen wie ein Grundeinkommen einzuführen, ohne ganze gesellschaftliche Funktionsstrukturen zu zerschlagen, erfordere ein Maß an staatlicher und ökonomischer Kompetenz, das einfach nicht vorhanden ist. Es führt – zu dieser Schlussfolgerung wird der mitdenkende Leser kommen, auch weil so viele große Umwälzungen in der Vergangenheit es schon gezeigt haben – über einen kurzen Moment der reinen Lust (an der Arbeit) in ein langes Chaos und damit zum allgemeinen Frust.
Auch hierin ist den Verfassern schließlich beizupflichten: „Das System der Marktwirtschaft kann hervorragend funktionieren, aber nur dann, wenn es nicht in erster Linie der Umverteilung zugunsten der Mächtigen missbraucht wird. Wenn man die Rahmenbedingungen aufstellt, innerhalb derer die Marktkräfte (und vor allem die Akteure! – H. H.) wirken sollen, muss es Ziel sein, ökonomische Ergebnisse zu zeitigen, die allen Mitgliedern der demokratischen Gesellschaft zugutekommen und die Lebensbedingungen der folgenden Generationen nicht zerstören.“ Zu wünschen gewesen wäre auch eine Kritik der völlig leistungslosen Einkommen aus Zins und Dividenden aller Art, die heute durchaus bedeutende „Marktkräfte“ darstellen. Von den Autoren wurden sie leider nicht einmal erwähnt, obwohl doch im Buch – wenigstens der Sache nach – für eine Leistungsgesellschaft plädiert wird, die diesen Namen wirklich verdient.

Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper: „Irrweg Grundeinkommen. Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden“, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2012, 224 Seiten, 16,99 Euro