15. Jahrgang | Nummer 23 | 12. November 2012

Wer küsst die Olgas?

von Frank Burkhard

Vor fast vierzig Jahren suchte DEFA-Regisseur Rolf Losansky für seinen neuen Jugendfilm „… verdammt, ich bin erwachsen“ einen talentierten fünfzehnjährigen Hauptdarsteller, der sich glaubhaft gegen die Abbaggerung seiner Heimat zur Wehr setzt. Seine Assistentin Hannelore Unterberg schlug ihm Ralf Schlösser vor, und der war´s dann auch. Alle drei trafen sich jetzt in Frankfurt (Oder) wieder, denn Ralf Schlösser, der den Schauspielerberuf einschlug und heute in Erkner die Schauspielschule DrehBühne leitet, hat gemeinsam mit seinem Regisseur von damals einen Film gedreht. Der wurde bei einem kleinen Festakt zum fünfunddreißigjährigen Bestehen des Filmclubs „Olga Benario“ aufgeführt. Doch dazu später. „Wer küsst Dornröschen?“ ist ein Film über einen Film, in dem Kinder das Märchen von Dornröschen nachspielen. Natürlich ist dabei ein Filmkuss für den Steppke, der den Prinzen spielt, eine kitzlige Angelegenheit. Der Mittelmetragefilm, der als DVD erhältlich ist, eignet sich besonders gut für die medienpädagogische Arbeit. Wieder hat Rolf Losansky, der seit 50 Jahren Filme für Kinder und mit Kindern dreht, bewiesen, welch ein Meister er im Umgang mit jungen Darstellern ist. Was die Kinder aus Erkner und Grünheide zeigen, hat Witz und Natürlichkeit. Dazu hat Losansky bekannte erwachsene Darsteller engagiert, darunter Gojko Mitić als jovialer Koch, Karin Düwel ist eine umwerfend böse, rothaarige Fee, und Karsten Troyke singt als Bänkelsänger Texte von Christa Kożik.
Auch die DDR-Kinderbuchautorin, deren Texte Astrid Lindgren nach eigenem Bekunden verschlungen hat, war zum Jubiläum nach Frankfurt gekommen. Der Filmclub „Olga Benario“, 1977 an der gleichnamigen Berufsschule von Lehrlingen des Hotelfachs und unter Patenschaft von Rolf Losansky gegründet, pflegte von jeher enge Beziehungen zur DEFA. Filmleute aller Metiers und Gewerke kamen nach Frankfurt, um ihre neuesten Filme vorzustellen und profitierten oft genug von den Meinungen der jungen Leute. Seit 1990 sind die immer jünger geworden. Der von Anbeginn durch den ehemaligen, leidenschaftlich engagierten Lehrer Siegfried Fiedler angeleitete Club änderte damals sein Profil und bietet jetzt vor allem Veranstaltungen für die Kleinsten an. In Kindergärten und Kitas wird ein neues Publikum an das Erlebnis „Kino“ herangeführt. „Für viele ist das Gemeinschaftserlebnis etwas besonderes, weil sie Filme sonst nur von der häuslichen Mattscheibe kennen“, bekennt Maik Austellat, der als „Onkel Maik“ das Kinderwagenhallenkino des Clubs betreut. Er ist sich nicht zu schade, auch mal einen Weihnachtstag zu opfern, um kranken Kindern in einer Brandenburger Klinik unbeschwerte Stunden zu bieten.
Anfang November war eine illustre Schar von Mitstreitern und Ehrenmitgliedern aus Berlin, Dresden, Falkensee, Potsdam oder Schwarzheide nach Frankfurt gekommen, um das seltene Jubiläum zu feiern. Darunter befanden sich außer den Genannten der Regisseur Hans Kratzert, die Schauspieler Dietlinde Greiff und Carl Heinz Choynski, die Schnittmeisterin Brigitte Krex und die ehemalige Frankfurter Bürgermeisterin Katja Wolle (SPD). In kleinen Ansprachen wurde an die zahlreichen Kontakte der „Olgas“, wie sie sich gern nennen, mit Filmclubfreunden aus aller Welt erinnert, vor allem mit polnischen Kindern, aber auch aus den GUS-Staaten, an den türkischen Regisseur Galip Iyitanir, der einen Film über Olga Benarios Schicksal gedreht hatte, an die Brasilianerin Anita Prestes, die 1936 im Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße geborene Tochter Olga Benarios, die den Club in den neunziger Jahren besuchte, und nicht zuletzt an Ruth Anna Brown aus den USA. Die Mutter des Sängers und Schauspielers Dean Reed unterstützte die „Olgas“ bis an ihr Lebensende mit kleinen Dollar-Spenden, wusste sie doch das Erbe ihres Sohnes hier, wo es ein beachtliches Dean-Reed-Archiv gibt, in besten Händen.
Das finanzielle Problem existiert nach wie vor. Den inzwischen überwiegend betagten Clubmitgliedern fällt der Antrags-Marathon, der heute für eine kontinuierliche kulturelle Arbeit unvermeidlich ist, immer schwerer. Wer gibt den Olgas den lebensspendenden Kuss? Zum Clubgeburtstag kam er symbolisch von einer der schönsten „Feen“ des Bundestags, der Linken-Politikerin Dagmar Enkelmann, die sich für die medienpädagogische Arbeit der Olgas einsetzt. Der Start ins 36. Jahr ist damit erst mal gesichert.