15. Jahrgang | Nummer 22 | 29. Oktober 2012

Belphegor

von Gabriele Muthesius

Die inzwischen 85-jährige Chansonette Juliette Greco – eine zierliche Person mit unverändert atemberaubender Präsenz und Ausstrahlung, mit Pariser Charme und Esprit – hat Anfang des Jahres Ihre jüngste CD veröffentlicht: „Ca Se Traverse Et C’est Beau …“.
Dass die Künstlerin in ihrer Karriere auch als Schauspielerin reüssierte, dürfte den älteren unter den Lesern kein Geheimnis sein. Aber dass die Greco Mitte der 60er Jahre in der Mysterie-Serie Belphegor im französischen Fernsehen nicht nur zum Straßenfeger wurde, sondern auch die Jugend des Landes dermaßen zum Fürchten und um den Nachtschlaf brachte, dass gar Psychologen sich des Phänomens annehmen mussten, war mir als in der DDR Aufgewachsener bis dato unbekannt. Juliette Greco berichtete darüber jüngst auf einer Veranstaltung der lit.Cologne Spezial, auf der sie ihre Lebenserinnerungen vorstellte. Sie selbst bekam den Belphegor-Hype seinerzeit gar nicht sofort mit, da sie bei Ausstrahlung der Serie zu einer mehrwöchigen Tournee in Japan weilte. Dort hatte sie ein paar Kleinigkeiten für die Familie erworben, „sehr japanisch und ungewöhnlich“, von denen sie fürchtete, dass der heimische Zoll etwas gegen die Einfuhr haben könnte. Stattdessen wurde sie bei ihrer Rückkehr von einem Zollbeamten ohne Kontrolle durchgewinkt – mit der Bemerkung: „Bitte passieren Sie, Belphegor!“ Inzwischen bin ich dem Reiz dieser Schwarz-weiß-Serie selbst erlegen, Youtube sei Dank.
Darüber hinaus war am Veranstaltungsabend von der sehr problematischen, ein lebenslanges Trauma hinterlassenden Beziehung zur Mutter die Rede, die mit den eigenen Kindern nichts anfangen konnte, sowie von Grecos Liebe zur Jazz-Legende Miles Davis, von dem sie bei ihrer ersten Begegnung nicht bewusst wahrgenommen hatte, dass er schwarz war („unlaublich, aber so war es“) und an dessen Seite sie den Rassenhass weißer US-Amerikaner kennen lernte – nicht etwa im hinterwäldlerischen Süden des Landes, sondern im modernen, liberalen New York. Nicht zuletzt war zu erfahren, wie sie zu „ihrer“ Farbe, schwarz, gekommen ist – aus finanzieller Not in der Nachkriegszeit: „Wenn man gar nichts hat, dann muss das wenigstens elegant sein!“ So begann sie Ende der 40er Jahre – von Jean-Paul Sartre, der auch die ersten Chansons eigens für sie komponieren ließ, zum Singen fast genötigt – in schwarzer Hose und schwarzem Pulli aufzutreten. Damals für eine Frau in der Öffentlichkeit ein „No-go“. Dieser Sachverhalt verhalf ihr kurz darauf zu ihrem ersten schwarzen Etuikleid, das sie selbst „schneiderte“ und das zum Markenzeichen ihrer Auftritte bis heute werden sollte. Der Inhaber einer ihrer frühen Pariser Auftrittsorte fand ihren Aufzug – Hose und Pulli – für die Bühne nämlich ebenfalls unpassend, ging mit ihr zum Ausverkauf zu einem der großen Pariser Couturieus und spendierte ihr ein schwarzes Abendkleid mit langer Seidenschleppe. Die trennte sie zu Hause als erstes ab, mit einer Nagelschere. Übrig blieb – „ein Kleid mit nichts“, und so sollte es bleiben. Der Spender übrigens, als er des „umgeschneiderten“ Stückes (zwar aus dem Ausverkauf, aber Haute Couture, also nicht wirklich preiswert) ansichtig wurde, schluckte und sagte – nichts.
Nun bin ich gespannt, wie sich diese Lebenssplitter der Greco und andere, so etwa ihre Ehe mit Michel Piccoli, in ihrem Buch lesen …

Juliette Greco: So bin ich eben: Erinnerungen einer Unbezähmbaren, Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2012, 240 Seiten, 19,99 Euro