15. Jahrgang | Nummer 12 | 11. Juni 2012

Daumier: Virtuoses Spiel auf der Klaviatur der Karikatur

von Anne Dresden

Mit 150 Kunstwerken bietet die Ausstellung „Honoré Daumier – Michelangelo der Karikatur“ im Kunsthaus Apolda Avantgarde einen kleinen Einblick in das große Werk spöttischer Grafiken des französischen Künstlers. 1808 in Marseille geboren und 1879 in Paris gestorben, war Honoré Daumier einer der wichtigsten Karikaturisten im Paris des 19. Jahrhunderts. Eine Zeit, die an Wechselfällen so reich war, dass es für einen schnellen Stift viel zu tun gab. In der Karikatur hat Daumier Maßstäbe gesetzt, was die Zeitgenossen zu Superlativen hinriss. Das ist umso erstaunlicher, wenn man weiß, dass seine künstlerische Ausbildung rudimentär war.
Der Kunstkritiker Jules Michelet soll Daumier seinerzeit mit Michelangelo verglichen haben. Allerdings wird auch Honoré de Balzac im Katalog der Austellung mit den Worten zitiert, dass er, Daumier, „etwas von Michelangelo im Leibe“ habe. Das mag zwar eine griffige Formulierung sein, aber – ohne Daumiers Bedeutung zu verkennen: Der Vergleich hinkt. Der Italiener des 16. und der Franzose des 19. Jahrhunderts sind unvergleichbar. Mit Balzac hingegen teilte Daumier nicht nur den Vornamen, sondern auch eine markante physiognomische Ähnlichkeit.
Karikaturen kommentieren aktuelles Geschehen. Je länger das jedoch zurückliegt, umso mehr bedürfen satirische Zeichnungen der Erklärung. Das gilt auch für die Geschichte Frankreichs zwischen 1830 und 1870/71 – jene Zeitspanne also, die Honoré Daumier mit seinen Arbeiten begleitete. Und so finden sich in jedem Raum des Kunsthauses kurze Einführungstexte zu den jeweiligen Themen. Sie stiften den notwendigen historischen Kontext zu Daumiers Werken.
Daumier verstand es, auf der Klaviatur der Karikatur virtuos zu spielen: Vom Pariser Alltag bis zu den europäischen Entwicklungen nahm er für verschiedene Satirezeitschriften in mehr als vierzig Schaffensjahren alles aufs Korn, was geeignet war, überspitzt inszeniert zu werden. Das grafische Verfahren, dessen sich Daumier und Karikaturisten-Kollegen wie Grandville bedienten, war die erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfundene Lithografie. Sie sollte im 19. Jahrhunderts für die Printmedien die bedeutendste druckgrafische Technik werden. Ihr unschlagbarer Vorzug: Man konnte von einem Stein zahllose Abzüge nehmen, ohne dass die Darstellung an Qualität einbüßte. Ein wichtiger Aspekt für auflagenstarke Zeitungen und Zeitschriften. Ohne den Michelangelo-Vergleich bemühen zu müssen, zeigt die Ausstellung im Apoldaer Kunsthaus nachdrücklich, dass Daumier ein Meister der Lithografie war.
Der Zyklus mit Karikaturen französischer Parlamentarier von 1833 etwa ist ein frühes und faszinierendes Beispiel für die karikative Klasse des Künstlers. Mit sehr feinem Strich sowie meisterlichen Licht- und Schatteneffekten hat er Spottbilder auf die Abgeordneten geschaffen. Es gelingt ihm dabei nicht selten, den Porträtierten die charakterlichen Eigenschaften förmlich ins Gesicht zu schreiben. Den Darstellungen der Parlamentsangehörigen gingen übrigens keine Skizzen voraus, sondern kleine Tonbüsten. Von ursprünglich 50 haben 36 die Zeitläufte überdauert. Sie wurden nach dem Tod des Künstlers in Bronze gegossen. Eine Auswahl davon ist, als Leihgabe der Akademie der Künste zu Berlin, in der Apoldaer Ausstellung zu sehen.
Daumiers Duktus ändert sich mit den Jahren: Der zarte Strich weicht spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts einer groben Umrisslinie. Die Karikatur als Strichzeichnung, wie wir sie aus der Presse kennen, nimmt hier Gestalt an. Exemplarisch zu sehen auf dem Blatt „Entsetzt über die Erbschaft“ (1871), Daumiers trauerndem Kommentar zum deutsch-französischen Krieg.
Die in Apolda zu sehenden Arbeiten wurden zum größten Teil von der Honoré-Daumier-Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Welchen Stellenwert diese Ausstellung im bilateralen Verhältnis einnimmt, zeigte sich bei der Eröffnung, zu der mit Maurice Gourdault-Montagne auch der Botschafter der Republik Frankreich in Deutschland in die Glockenstadt kam.
„Honoré Daumier – Michelangelo der Karikatur“ zeigt zwar vor allem kleine Formate, ist aber eine durch und durch große Schau zur Lithografie und Karikatur des 19. Jahrhunderts.

„Honoré Daumier – Michelangelo der Karikatur“, Kunsthaus Apolda, Bahnhofstraße 42, 99510 Apolda, Tel.: (03644) 515364, dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, bis 17. Juni.