13. Jahrgang | Nummer 18 | 13. September 2010

Wolfgang Abendroth zum 25. Todestag

von Andreas Diers

Wolfgang Abendroth wird am 2. Mai 1906 in Elberfeld als Sohn eines sozialdemokratischen Lehrerehepaares geboren. Er besucht nach dem Umzug der Familie nach Frankfurt am Main das Realgymnasium und studiert anschließend Rechtswissenschaften in Frankfurt, Tübingen und Münster. Durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges, der Novemberrevolution, der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wird Abendroth früh in der Arbeiterbewegung tätig. 1920 wird er Mitglied im Kommunistischen Jugendverband, später auch in der KPD. In Frankfurt arbeitet er unter anderem. in der Roten Hilfe mit und unterstützt die Arbeit des Sozialistischen Schülerbundes, dem zu dieser Zeit auch der bekannte Antifaschist Emil Carlebach angehört.

Nachdem Abendroth Ende 1928 wegen seiner Kritik an dem „ultralinken” Kurs und der Sozialfaschismusthese aus der KPD ausgeschlossen wird, schließt er sich der KPD-Opposition an.

1935 promoviert Abendroth in Bern mit einer Dissertation über Völkerrecht. Im Februar 1937 wird er verhaftet und von der Gestapo in Berlin äußerst brutal gefoltert, im November erfolgt seine Verurteilung zu vier Jahre Zuchthaus. Abendroth wird im Mai 1941 aus der Haft entlassen, aber schon Anfang 1943 zur Strafdivision 999 eingezogen und in Griechenland auf der Insel Lemnós eingesetzt. Dort sucht er Kontakt zu Antifaschistischen und Partisanen, unterstützt deren Kampf und desertiert mit ihrer Hilfe 1944 zur griechischen Widerstandsorganisation ELAS. Im Oktober 1944 wird Abendroth auf britischen Druck hin von der ELAS in britischen Gewahrsam übergeben und von Lesbos aus als Kriegsgefangener nach Ägypten überführt. In Gefangenenlagern beginnt er in der Wüstenuniversität mit politischer Schulungsarbeit, um demokratische Verwaltungskräfte für die Arbeit in Deutschland auszubilden. Später wird Abendroth in das Umerziehungslager Wilton Park Training Centre gebracht. Ende November 1946 kommt er aus der Kriegsgefangenschaft frei.

Abendroth leistet anschließend verschiedene Tätigkeiten in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, unter anderem ist er Professor in Halle, Jena und Leipzig. Im Dezember 1948 flieht er zusammen mit seiner Familie aus der SBZ. Er wird Professor für öffentliches Recht und Politik an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven. 1950 erfolgt seine Ernennung zum Professor für wissenschaftliche Politik an der Universität Marburg. Dort ist Abendroth als marxistischer Hochschullehrer bis zu seiner Emeritierung 1972 wissenschaftlich und politisch tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Erforschung des antifaschistischen Widerstandes, die Geschichte der Arbeiterbewegung, das politische System der BRD, Fragen des Völkerrechts sowie Probleme der Parteien und des Parteiensystems.

Ab 1949 ist Abendroth Mitglied des Staatsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Bremen Dort verfaßt er einige abweichende Voten. Von besonderer Bedeutung ist dabei sein abweichendes Votum zu den Auswirkungen des Verbotes der KPD auf die Abgeordneten der KPD in der Bremer Bürgerschaft. Von 1959 bis 1963 ist Abendroth auch Mitglied des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen.

Abendroth wirkt in zahlreichen Organisationen mit, gehört teilweise zu ihren Gründern. Dazu gehören unter anderem der Bund demokratischer Wissenschaftler, die Vereinigung demokratischer Juristen und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Zudem ist er im Herausgeberkreis mehrerer Zeitschriften aktiv, wie zum Beispiel von „Demokratie und Recht”, „Das Argument” und „Blätter für deutsche und internationale Politik”.

Abendroth ist in den 50er Jahren eng in den Versuch einer linkssozialistischen Plattform in der SPD rund um die Zeitschrift Funken eingebunden. Er gehört dem Förderverein des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) an. Nach dem Bruch der SPD mit dem SDS wird Abendroth aufgefordert, seine Unterstützung für den SDS aufzugeben. Seine Ablehnung dieser Forderung führt 1961 zum Ausschluß aus der SPD. In den 1960er Jahren ist er einer der Gründer des Sozialistischen Bundes und ein wichtiger Unterstützer der studentischen Protestbewegung, revolutionäre Bestrebungen einer intellektuellen Minderheit ohne Einbindung in die Arbeiterbewegung lehnt er jedoch ab.

Die politische Demokratie in der BRD wird von Abendroth verteidigt, weil sie die Transformation hin zum Sozialismus offenhält. Diese Auffassung beruht dabei ganz wesentlich auf seiner Differenzierung zwischen Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit sowie auf seiner Einschätzung, dass durch den Aufstieg der UdSSR zur Weltmacht nach dem Zweiten Weltkrieg eine völlig neuartige Situation innerhalb des Systems der internationalen Beziehungen entstanden ist. Diese grundlegend veränderten Bedingungen des Kampfes für den Sozialismus charakterisiert Abendroth 1981 in einem Interview:

„Im Jahre 1919 ist aus der Sicht der Arbeiterbewegung die Verwertung von Möglichkeiten, die die bürgerliche Rechtsordnung gewährt, von Fall zu Fall sehr wichtig, aber der Gesamtprozeß einer Transformation in eine spätere sozialistische Gesellschaft ist noch nicht innerhalb dieses Gefüges definierbar. Das ist nach 1945 bei Veränderungen auch der internationalen Gleichgewichtslage schlicht anders. Die rechtsinterpretative und die rechtswissenschaftliche Betrachtungsweise erhält für die Arbeiterbewegung nun eine neue Dimension. Es geht für die Juristen der Arbeiterbewegung vor 1914, grob formuliert, im wesentlichen nur darum, die Rechtsnormen der bürgerlichen Gesellschaft zu stärken und auszunützen, die für die Arbeiterbewegung als gewährte Konzessionen brauchbar sind, ohne freilich der Illusion zu erliegen, daß von hier aus eine Transformation der gesamten bürgerlichen Gesellschaft überhaupt erreichbar sein könnte; rechtswissenschaftliches Auftreten von Marxisten war hier im wesentlichen praktische Aufgabe des Tages, nicht strategische. In der Gleichgewichtslage nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Situation eine vollständig andere. Man kann jetzt an ein systematisch in sich geschlossenes System rechtswissenschaftlichen Denkens herangehen als strategisches Anleitungsmittel, und das heißt natürlich auf der Basis und in Anerkennung der inzwischen geschaffenen verfassungsrechtlichen Normen. Typisch dafür ist: Der beste marxistische Rechtswissenschaftstheoretiker der Weimarer Republik, der frühe Karl Korsch, schreibt ein System des Arbeitsrechts und gibt Anleitungen für arbeitsrechtlich richtiges Auftreten von Vertretern der Gewerkschaftsbewegung und auch der politischen Arbeiterbewegung. Aber er kann gar nicht daran denken, etwa ein generelles strategisches Konzept rechtswissenschaftlichen Denkens bis in das verfassungsrechtliche Denken hinein zu liefern, weil die realen Voraussetzungen dafür fehlen. Das ändert sich ab 1945, denn jetzt sind die Rechtswissenschaft und das Rechtssystem potentiell transformatorischen Charakters. Es ist vor allem das relative Gleichgewicht zwischen einer (bei allen Mängeln) sozialistischen Weltmacht und den kapitalistischen Staaten, das die Basis dafür bietet.“

Im Vorfeld der Bundestagswahlen 1969 bildet sich – ausgehend vom Gießener Kreis um Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann – als Reaktion auf die Notstandsgesetze die Aktion Demokratischer Fortschritt. Als Anfang der 1980er Jahre einige sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete aus Protest gegen die Politik der SPD aus der Partei austreten und die Demokratischen Sozialisten gründen, unterstützt Abendroth deren Wahlkampf für die Bundestagswahl 1983, ebenso die etwas später gegründete Partei Die Friedensliste, die bei den Europawahlen 1984 kandidiert. Auch in den Grünen sieht Abendroth Anfang der 1980er Jahre einen potentiellen Druckpartner von links auf die SPD – und beginnt sich seinerseits auch selbst in ökologische Fragestellungen zu vertiefen.

Am 15. September 1985 stirbt Wolfgang Abendroth in Frankfurt am Main.