Ulrich Wilhelm, scheidender Regierungssprecher und angehender Intendant des Bayerischen Rundfunks – Sie möchten, nach fast fünf Jahren Dienst in der Hauptstadt und bevor Sie in einigen Wochen nach München umziehen, Berlin nun endlich kennenlernen, das Bode-Museum sowie die Neue und die Alte Nationalgalerie in Ruhe anschauen. Für Kulturelles hat Ihnen Ihr Job an der Seite der Bundeskanzlerin offenbar keine Zeit gelassen, und Angela Merkel bescheinigte Ihnen zum Abschied, einen der härtesten Jobs in der Bundesregierung ausgeübt zu haben. Das mit den kulturellen Defiziten ist natürlich tragisch, und die Berliner Theater werden Sie auch in den nächsten Wochen nicht kennenlernen. Die machen Theaterferien. Aber zum Trost rufen wir Ihnen zu: Seien Sie froh, daß Sie keine berufstätige alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern im Kita-Alter sind, denn dann wüßten Sie, wo die wirklich härtesten Jobs hierzulande ausgeübt werden.
Rainer Brüderle, Ministerdarsteller – Die gesetzliche Untersagung von Rentenkürzungen macht Ihnen so schwer zu schaffen, daß Sie – alternativlos, versteht sich – darauf drängen, diese zu kippen. Daß die Kanzlerin dies ablehnt, und sei es nur aus taktischem Kalkül heraus, mußten Sie wissen. Schon deshalb darf man wohl davon ausgehen, daß wiedermal jenes Polittheater läuft, mit dem allweil schlechte Nachrichten angekündigt werden: ein Wadenbeißer aus der zweiten oder dritten politischen Reihe (sorry, aber günstiger vermögen wir Sie nicht zu verorten) macht einen Vorschlag, der das Volk empört, die Chefin winkt beruhigend ab – und schwupps kommt dann eine irgendwie gemilderte Hiobsnachricht als gesetzliches Faktum über die Leute. Und viele dieser Leute freuen sich dann sogar, daß es ja nicht soo schlimm gekommen ist, wie ursprünglich angekündigt. Mal sehen also, wann, vom wem und wie verbrämt dann der verbindliche Vorschlag zur Rentenminderung kommt. Als in Lohnwachstumszeiten der 90er Jahre die Rentner mehrere Null-Runden hinzunehmen hatten, waren Rufe nach der gesetzlichen Kopplung der Renten an die Lohnentwicklung übrigens von den überreichlich vorhandenen Brüderles unseres so solidarischen Gemeinwesens nicht zu hören…
Josef Schlarmann, Mitglied des CDU-Parteivorstandes und Chef der Unionsmittelstandsvereinigung – Sie kritisieren immer wieder Angela Merkels Regierungs- und Führungsstil. Im System Merkel, so sagen Sie, werde von oben nach unten oder – wie es in der Managersprache heiße – „top-down“ geführt, aus einem kleinen Team heraus, das die Kanzlerin selbst ausgewählt habe. Die Partei erfahre oft erst aus den Medien, was beschlossen worden sei. Der Einfluß der Partei sei damit marginalisiert worden. Die innerparteilichen Folgen seien nicht zu übersehen – viele Mitglieder seien unglücklich und völlig frustriert. Sie selbst sagten zwar der Kanzlerin kritische Worte auch direkt ins Gesicht, diese aber ignoriere das. Und dann seien da immer gleich Anpassungstaktiker am Werke, die die Kanzlerin lobten; so laufe das in der CDU. Lieber Herr Schlarmann, das ist natürlich tragisch, aber die Union hätte vor der Wahl von Angela Merkel zur Parteivorsitzenden vielleicht doch etwas gründlicher auf deren Sozialisation schauen sollen. Was Sie da beschreiben, hat Angela Merkel von der Pike auf gelernt – nur sprach man seinerzeit noch nicht von „top-down“ sondern nannte das Verfahren etwas sperriger demokratischen Zentralismus.
Hans Werner Sinn, Allzweckwaffe des Kapitals – Für die Objektivität Ihrer sozialökonomischen Hervorbringungen werden Sie zu Recht gerühmt. In einem Interview des Deutschlandfunks ist Ihnen soeben ein schöner neuer Beweis dafür gelungen. Auf die Frage, was zu geschehen habe, um irgendwann mit dem Sparen aufzuhören und den Konsum wieder anzukurbeln, wenn Deutschland seine Abhängigkeit vom Export verringern wolle, erklärten Sie, was hier im O-Ton wiedergegeben werden kann, weil Intelligenteres einfach undenkbar ist: „Also, diese Aussage halte ich für falsch, die Sie jetzt gerade gemacht haben. Wir brauchen nicht den Konsum oder den Export, um eine Binnenkonjunktur zu haben. Sie vergessen die Investition. Die Investitionsgüternachfrage nach Gütern aus laufender Produktion – also Bauleistungen, Maschinenausrüstungen – sind (im Orig.) ein erheblicher Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Und dieser Teil hat in Deutschland in der Vergangenheit gefehlt. Ich sagte vorhin schon: Deutschland hatte die niedrigste Nettoinvestitionsquote von Mitte der 90er-Jahre bis jetzt von allen OECD-Ländern. Da müssen wir besser werden. Da sind wir bei der alten Standortsqualitätsfrage: Wenn es sich wieder lohnt, im Inland Arbeitsplätze zu schaffen, statt im Ausland, dann wird eben auch dieses Stück Binnenkonjunktur wieder aktiviert. Und wenn dann die Produktionskapazität vergrößert ist, dann ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften höher, dann können auch höhere Löhne gezahlt werden. Und später kann dann auch aus dieser Kapazität heraus ein größerer Konsum bedient werden. Aber die Reihenfolge ist wichtig: Erst muß die Investition kommen und dann kommt der Konsum und nicht umgekehrt.“
Eva Fischer, Bundesvorsitzende des „Verbandes der Wirtschaftsjunioren“ – Sommerloch und Hitze haben Ihrem noch jungen Denkapparat offenbar schwer zu schaffen gemacht, denn Sie schlugen dieser Tage namens Ihres Verbandes vor, daß die deutschen Arbeitnehmer ihre Urlaubstage zur Fortbildung verwenden sollen, da jeder Arbeitnehmer verpflichtet sei, die eigene Attraktivität für die Firma zu steigern. Nun wissen wir nicht, wie es um Ihre Attraktivität steht, daß in der Welt des Kapitals aber eine große Zukunft vor Ihnen liegt, dürfte zweifelsfrei feststehen.
Utz Claassen, gebeutelter Manager – Statt der vereinbarten fünf Jahre für Ihre neuangetretene Tätigkeit bei Solar Millennium, für die Sie eine Vorauszahlung (!) von neun Millionen Euro bekamen, haben Sie bereits nach 74 Tagen den Bettel hingeschmissen. Das besagte Kleingeld haben Sie gleich mitgenommen, wogegen das fast schon kriminell dämliche Mittelstandsunternehmen nun klagt. Ihren raschen Rücktritt haben Sie, ohne in der Öffentlichkeit damit hausieren zu gehen, damit begründet, daß Sie Ihren Prinzipien treu bleiben wollen. Zu diesen haben sicher auch die mit Solar Millennium ausgehandelten Konditionen gehört: Neun Millionen für anderweitigen „Verdienstausfall“ plus Vorab-Erfolgsprämie, ein Monatsgehalt von 100.000 Euro, Versorgungsleistungen für 2010 in Höhe von 180.000 Euro sowie ein Zuschuß für Leibwächter und Ihren Mercedes-S-400-Hybrid-Fahrer. Sie sind offenbar denn doch eher ein praktisch denkender Mensch denn ein Theoretiker. Als solcher hatten Sie uns in Ihrem Buch „Wir Geisterfahrer“ erst kürzlich geoffenbart: “Wer missbräuchlich die Potenziale von Anreizsystemen ausschöpft, wissend, dass das zum Schaden des Unternehmens ist, das er vertritt, der ist gierig.” Ein Glück, daß damit andere gemeint sind.
Schlagwörter: Adolf Sauerland, Eva Fischer, Hans Werner Sinn, Josef Schlarmann, Rainer Brüderle, Ulrich Wilhelm, Utz Claassen