13. Jahrgang | Nummer 10 | 24. Mai 2010

Nachrichten aus der Debattiermaschine IV

von Eckhard Mieder

Ich weiß ja, meine Sicht auf die Dinge ist naiv, aber … als ich neulich einen Finanzmarkt traf, ich war grad ein bisschen klamm, half er mir auf. Er griff mir unter die Arme, blätterte den Ordner mit meinen Kontoauszügen durch und sprach zu mir, daß er mein Freund sei. Er wolle mir helfen, müsse vorher nur kurz bei seiner Lieblings-Rating-Agentur anrufen, und dann würden wir gemeinsam einen Weg finden. Raus aus dem Dilemma, rein ins Paradies.

Ich war überrascht. Ich hatte den Kopf voller Sorgen. Ölteppich vor Amerika, sowieso kaum noch gesunde Fische in den Bächen und Meeren der Welt, die Entwicklung von Elektroautos schleppte sich dahin. An allen Ecken der Debattiermaschine knirschte es, weil Vulkanasche hineingeraten war. Immobilien- und Kreditblasen gerieten zwischen die Zahnräder der öffentlichen Stagnation, teils waren sie noch prall gefüllt, teils hingen sie in zerfetzten Hüllen herab. Über allem schwebte die „Aschewolke des Antiwissens“ (FAZ, 26. April 2010*), der Motor für den Wischer der Heckscheibe meines Nissan war kaputt gegangen und an Geld hatte ich nur noch das, was ich als Cent-Münzen in einem leeren Halberstädter-Würstchen-Glas sammle.

Nun der Finanzmarkt. Ein Glanzprodukt der Debattiermaschine. Sei Name sei Vertrauen, sein Gesicht sei das jener sechs bis acht Männer (kaum Frauen) starken Gruppen, die im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen für Geldinstitute werben. Gestalten zum Knuddeln, die Sekundanten meines neuen Freundes Finanzmarkt.

Er war nicht übertrieben freundlich, aber entgegenkommend. Er versprach nicht gleich Wahnsinnsrenditen, aber stetige Zunahme an Wohlhabenheit. Er blätterte in den Recherchen seiner Lieblings-Rating-Agentur, seufzte ein wenig, mehr so zum Spaß, und meinte, daß meine Bonität nicht eben glänzend sei, aber – das Auf und Ab meiner Finanzen führte sich auf das Auf und Ab meiner Aufträge zurück und nicht etwa auf die Bezahlung geheimer Laster, Spielschulden oder garstiger Spekulationen. Zudem sei ich Deutscher und damit Angehöriger einer zwar nicht allzu gebildeten doch arbeitswilligen und alles in allem zuverlässigen Nation.

Alles in allem, scherzte er, seien Schnüffelunterlagen eben Schnüffelunterlagen. Er habe, ulkte der Finanzmarkt weiter, mal eine Frau in Bonn gekannt, die hieß Buchela, die verstand sich auf Prophezeiungen! Die war billiger als die Rating-Agentur, aber Zeiten ändern sich, Preise steigen und der Kaffeesatz sei auch nicht mehr, was er einst war. Gibt ja auch keinen Adenauer mehr, hehe, oder wie, was, wo!

Um ehrlich zu sein, ich schwitzte über Gebühr, war zögerlich bis mißtrauisch. Der Finanzmarkt war sehr geschwätzig und ein bißchen aufgeblasen. Das mochte ich noch nie. Außerdem hatte er einen Ruf. Niemand wisse genau, wer er sei, woher er komme, was er im Schilde führe. In der Debattiermaschine heißt es oft, die Finanzmärkte glaubten, die Finanzmärkte handelten, die Finanzmärkte regierten, die Finanzmärkte wetteten … sogar auf Staaten und Regierungen, als seien diese Windhunde oder Hähnchen.

Und doch faßte ich Zutrauen. Oder eine Einsicht. Zum einen haftet den Finanzmärkten was Menschliches an, wenn ihnen zwar kein Gesicht doch ein Handeln angedichtet wird. Zum anderen spürte ich, der Finanzmarkt war alternativlos. Ich spürte, er agierte für sich. Er war für sich da, und wenn einer für sich da ist, kann er da viel Schaden anrichten? Er war ein Losgelöster. Er hatte nichts mit dem gewöhnlichen Kapitalismus zu tun, nichts mit dem Chassis Demokratie. Wenn er die antastete, wird er aber was auf die Finger kriegen!

Eines Abends wurde ich sogar Zeuge einer Fassungslosigkeit. Der Moderator einer Nachrichtensendung im zweiten Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen kommentierte – und er wirkte wirklich verärgert, ja wütend -, daß in einer Demokratie ja wochenlang darüber debattiert werden müßte, wenn Abermilliarden Taler von einem Land ins andere ströme, daß aber scheinbar die Uhren der Demokratie langsamer tickten als die Uhren der Finanzmärkte und es ganz rasch gehen könne mit Gesetzen und Entscheidungen der Regierenden … Also haben, dachte ich, Demokratie (und Kapitalismus) mit Finanzmärkten nichts zu tun. Bei Geldströmen jedenfalls nicht. (Bei Migrationsströmen gilt wiederum ein anderer Zugang, was ein anderes Thema ist.)

Welch ein Glück, dachte ich, wenn ich mal einen Finanzmarkt brauchte oder ihn zufällig träfe, könnte ich mit ihm zusammen – die Welt aus den Angeln heben. Wir könnten zusammen mörderisch auf die Kacke hauen, jedem Menschen ein Häuslein bauen und ansonsten beim Glas ein in den Sonnenuntergang schauen. Denn er hat ja, er hat ja, mein Freund hat nichts mit diesem Kapitalismus zu tun. Er braucht nicht mal die Demokratie. Er ist ein heiterer, geselliger Bursche, dem ich Witze aus der DDR erzähle, und er erzählt mir dafür Schnurren von Krisen, Bankrotten, Insolvenzen.

Außerdem sei er nicht allein. Er habe Brüder und Schwestern. Sie seien Finanzmärkte, umspannen den Globus, seien gut miteinander verknüpft und wahre Entfesselungskünstler. Staatenlos, nur sporadisch interessiert an Regierungen oder unterschiedlich verfaßten Systemen. Sie seien sozusagen, dass ich es recht verstünde, die Coca Cola des Fortschritts, an den wir alle glauben, den wir alle wollen, dem wir alle hinterhertrippeln. Und wenn wir ihn erreichen, ist er schon wieder entglitten und uns voraus und dreht uns eine Nase. Er sei gewissermaßen der Igel und die Menschheit der Hase.

Dieses Bild irritierte mich. Wenn er der Igel war und die Menschheit der Hase, war er also der Schlaue und die Menschheit – der Doofe? Bestand aber der Finanzmarkt nicht auch aus Menschen? Das würde seine Freundlichkeit mir gegenüber erklären. Mir wollte er helfen, sicherlich auch anderen. Oder nur sich selber? Was auch in Ordnung wäre, hülfe er doch auch Menschen? Ich empfand sogar Mitleid mit dem Finanzmarkt. Er hat es schwer, sehr, sehr schwer. Noch dazu kommt er in der Debattiermaschine erstens so häufig vor, dass es ihm unangenehm sein dürfte. Zweitens ist er mittlerweile so prominent, dass er schon wieder was Geheimnisvolles hat.

Und zum dritten hat er alle Menschen lieb. Er würde nie auf die Idee kommen, Banken und Autos anzuzünden.

*Es gibt auch Mentalcoaches, Motivationsberater, Innovationsberater … Ein amerikanischer Innovationsberater, Charles Leadbeater, spricht von einer Kultur der Wolke — „cloud culture“ „Das Arbeiten mit und in Datenwolken, in denen Wissen, Kreativität und Technikanwendungen gespeichert sind, ermöglichen ein bestimmtes kulturelles und kreatives Verhalten. Das Datenwetter macht das Arbeitsklima.“ – Wolken ziehen vorüber. Wolken regnen ab. Wölken lösen sich auf. Wolken bilden sich. – Und jetzt gibt es die „Aschewolke des Antiwissens“ (FAZ vom 26.04.2010)