13. Jahrgang | Nummer 5 | 15. März 2010

Theater am Rand

von Walter Heyn

Die Krise der Kultur, jajajajaja, das hören wir doch jeden Tag. Eine Schule macht dicht, eine kleine Bibliothek schließt, Musiker fliegen aus Orchestern, einem Kiez-Projekt geht die Luft aus. Das kennen wir doch alles bis zum Abwinken. Die Antwort der Künstler müßte doch in den Orchestersälen und auf den Theaterbühnen zu sehen und zu hören sein: radikale Sichtweisen, gekonnte Unterhaltung, Gegenentwürfe wohl gar. Doch die sind gar nicht so leicht zu finden. Unterhaltung, Tingeltangel, Avantgarde (also schlechte Unterhaltung) dafür zuhauf. Kunst geht halt nach Leberwurstschnitten, und schon Altmeister Wilhelm Busch wußte: „Ein jeder macht mit dem, was andere denken, Geld.“ Der Rückzug des Staates aus der Kulturförderung, der ja immerhin auch ein Schritt der Befreiung von Bevormundung sein könnte, führt – zumindest beim Theater – zunächst erst einmal zu drastischen Verwerfungen.

Doch genug gejammert. Wir waren in Steffens Menschings und Michael Klieferts Anti-Depressions-Revue mit dem Titel „Drunter und drüber“. Die lief vor einigen Tagen innerhalb des Festivals „Musik und Politik“ als Gastspiel des Theaters Rudolstadt im Maxim Gorki Theater Berlins. Das Bühnenbild zeigt das berühmte holzgetäfelte Aufnahmestudio 1 aus dem alten Rundfunkgebäude in der Nalepastraße nebst richtiger Uhr und den Ziffern 1- 6 im Holzkasten, die rot aufleuchten, wenn aus dem Studio gesendet wird. In diesem Studio hat schon Hanns Eisler gearbeitet (ich auch, einmal), und tiefe Rührung durchzog mein Herz. Das Bühnengeschehen, laut, hektisch und den berühmten Tick zu lustig, imitiert die Talk-Shows der Gegenwart, nur daß die Gäste – statt albern zu sein, oder gierig oder schamlos – ihre wirklichen Schicksale erzählen. Das führt zu einer Fülle komischer, trauriger und skurriler Szenen und eindrucksvoll vorgetragener Songs. Der einzige Wessi unter den Kandidaten betreibt eine Beerdigungskette (der Marx´sche Totengräber lässt grüßen) und erfindet den Handykontakt zu den lieben Verblichenen im Sarg via Funk.

Ein paar Kostproben gefällig? Bitte sehr:

Kandidat 1:
Im schönen Monat Oktober war´s, es blühten die Herbstzeitlosen,
Ich hatte den Mann und den Job verlorn und Zeit für neue Neurosen.
Ich reise jetzt nicht mehr durch die Welt, ich reise nur noch nach innen.
Man spart eine Menge und kann, wenn man will, immer wieder von vorne beginnen.
Ich bin nicht depressiv und hänge am Leben.
Nur wenn ich blühende Landschaften seh, muß ich mich übergeben.

Das Heine´sche Wintermärchen von Deutschland ist in Versbau und Lockerheit der gefügten Gedanken den bewußt laxen Versen von Steffen Mensching ganz nah und auch ganz weit entfernt. Denn die Verhältnisse – sie sind eben nicht mehr so und doch auch wieder so und werden zunehmend wieder so oder anders. „Mut“ wünscht sich die eine Kandidatin zur Musik eines bekannten Westschlagers und möchte eine Energiewelle ins Publikum tragen, was das politisch geschulte Gorki-Publikum zu Recht verweigert und sich trotzdem amüsiert. Und die Muss spiült dazu, manchmal ein bißchen zu schön: Den sanften Klaviersätzen und den feschen Bläsersätzen fehlt mitunter das Doppelbödige, das Verkantente und Nicht-Harmonische. Aber dazu ist es eine Revue.

Wer mehr will, kann sich ja die „Dreigroschenoper“ ansehen. Aber bitte nicht in Berlin und nicht am BE. Das Theater Rudolstadt wäre beispielsweise ein gutes Reiseziel. So wie im letzten Jahrzehnt Magdeburg für das Schauspiel und Cottbus für das Musiktheater gute Adressen waren, so könnte es ja jetzt Rudolstadt werden mit verquerem und witzigem Gegenwartstheater. Die Darsteller Charlotte Ronas, Hans Burkia, Marcus Ostberg, Anne Kies, Markus Seidensticker und Ewa Rataj, sowie das Orchester der Thüringer Sinfoniker unter Oliver Weder sind es jedenfalls wert.

Das Publikum wurde noch mit Fidelio-Klängen und einem beinahe geflüsterten alten Arbeiterkampflied verwöhnt. „Und das es so nicht mehr weitergehen kann und endlich anders werden muß, weil jeder weiß, das es so nicht mehr weitergehen kann, aber keiner weiß wie“; diese bandschleifenartig endlos wiederholte Sentenzen bildeten das Finale der Revue. Riesenerfolg. Von Steffen Mensching gibt es übrigens auch einen Soloabend und einige lesenswerte Bücher. Ich darf Ihnen fürs Osterfest die „Berliner Elegien“ empfehlen, die bei Faber&Faber erschienen sind.