13. Jahrgang | Nummer 2 | 1. Februar 2010

Brandrodungen in Amazonien

von Klaus Hart, São Paulo

Gewimmel und Getümmel, Straßenmusik und Sektenprediger, schwüle Hitze von 38 Grad in der Millionenstadt Manaus am Rio Negro, mitten in Amazonien. Doch über die exotische Szenerie wabert ätzender, Krebs erzeugender Qualm. Er stammt von Brandrodungen rund um Manaus. „Es sieht aus wie dichter Nebel in der Stadt, ist aber Rauch von Urwaldfeuern Amazoniens“, regt sich eine Wetterexpertin in der brasilianischen Tagesschau auf. Besonders viele Feuer lodern auf der anderen Seite des breiten Rio Negro. Vom Hafen aus, in dem zahllose Aasgeier Essensreste, Fleisch- und Fischabfälle der Markthalle vertilgen, prescht man mit einem der vielen Bootstaxis über den Strom und hat dann jene berüchtigten Feuerwände direkt vor sich, spürt den Gluthauch. Das sind sie also, die „zerstörerischen Flammen der Dummheit“, von denen schon José Bonifacio, Freund des deutschen Naturforschers Alexander von Humboldt und ein Vorkämpfer der Unabhängigkeit Brasiliens, 1780 gesprochen hatte.

Unweit von Manaus befinden sich im Regenwald zahlreiche Indianerdörfer. Ich hatte vermutet, daß sie dort sicher auf Brandrodungen verzichten. Ein Irrtum. Im Dorf der Cambéba-Indianer fackeln sie sogar illegal Wald auf Staatsland ab, um Ackerland zu schaffen. Unmittelbar neben dem Fußballplatz, der ebenfalls in den Wald hinein gebrannt wurde, sehe ich viel frische weiße Asche … Das Feuer zerstört den Mikroorganismus des Bodens, Nährstoffe werden zu Rauch. Nach etwa drei Jahren geben solche Flächen nichts mehr her, und dann – wird erneut Urwald abgefackelt.

Die 51jährige Uika, Häuptling des Dorfes, hat mit dem Brandroden kein Problem: „Alles, was wir zum Essen brauchen, ob Bananen oder Maniok, pflanzen wir auf unseren Feldern an. Dieses Jahr hatten wir Pech – die Überschwemmungen haben die Ernte zerstört, und wir mußten vieles kaufen. Jetzt legen wir gerade neue Felder an. Üblicherweise halten wir uns ja auch Schweine, aber weil wir hier auf diesen Flächen noch nicht legal wohnen, haben wir das lieber erst mal aufgeschoben. Wir sind katholisch, unser Schutzpatron ist der Heilige Thomas. Indianische Riten haben wir nicht mehr.“

Das Dorf wurde erst vor sechs Jahren direkt neben einer Siedlung von Nicht-Indios angelegt. Die Cambéba lebten zuvor zeitweise in der Metropole Manaus, auch Häuptling Uika. Man trägt normale städtische Kleidung, schaut brasilianisches Fernsehen und hat Handys – in manchen der aus Brettern gezimmerten Häuser stehen Gasherde. Heute wird von den Amazonas-Indios meist mit Gewehren gejagt, nur noch selten mit Pfeil und Bogen.

Doch die meisten Indianer halten es inzwischen für erstrebenswert, in Manaus zu wohnen. Dort montieren sie in den multinationalen Fabriken Motorräder, Fernseher oder Küchengeräte und integrieren sich so in das System der Produktion, des Gewinns und des Geldes. Viele geben die eigene Sprache, Kultur und Identität auf. „Es sind nur wenige, die in den Wald zurückkehren“, sagt Ana Delia von der katholischen Indianerseelsorge. „Die Hälfte der brasilianischen Indios wird in den Städten leben. Dort zerbricht dann die Clan-Struktur, und Jüngere suchen sich zunehmend Nicht-Indios als Partner, fühlen sich gerade vom Andersartigen angezogen.“

An einer lauten Straße in Manaus liegt hinter einem hohen Stahlgitterzaun das Amazonas-Forschungszentrum von „Greenpeace“. Da in der Region immer wieder Umweltaktivisten ermordet werden, muß sich auch Greenpeace schützen. Man muß durch eine Sicherheitsschleuse, wird überprüft und fotografiert. Greenpeace-Experte André Muggiati zur Brandrodung: „Ideal wäre, Landwirtschaft wie in Europa zu betreiben: ohne Feuer. Natürlich ginge das auch in Amazonien. Aber hier in Brasilien ist Brandrodung nun einmal Teil der Volkskultur. Die Asche soll den Boden düngen – doch in Wahrheit wird er immer unfruchtbarer. Und der Rauch verstärkt den Treibhauseffekt, hier in Brasilien ist Abholzung die Hauptverursacherin von Treibhausgasen.“

Mit dem Boot geht es den Rio Negro hinauf, dorthin, wo Vieh meist für den Export gezüchtet wird. Überraschend: Auf enormen Weideflächen sieht man nur ganz verstreut relativ wenige Rinder, aber viele verkohlte Baumstümpfe, die an die Brandrodungen erinnern. „Ja, die Viehzucht wird nur sehr uneffizient betrieben“, erläutert André Muggiati. „In Amazonien kommt auf einen Hektar Weidefläche statistisch nicht mal ein Rind. Auf 10 000 Hektar stehen also höchstens 10 000 Tiere – das ist doch Wahnsinn. 70 Millionen Rinder weiden derzeit in Amazonien – und 80 Prozent der abgeholzten Flächen werden für diese Art von Viehzucht genutzt.
Damit Brasilien zum größten Rindfleischexporteur der Welt werden konnte, hat die Regierung das Wachstum und die internationale Expansion der Viehindustrie auch noch mit staatlichen Entwicklungsgeldern subventioniert und ist an diesen Firmen beteiligt. Die Partnerschaft führt zu noch mehr Urwaldzerstörung und Sklavenarbeit. Denn Sklavenarbeiter werden vor allem zum Abholzen eingesetzt.“

Im Zuge einer Agrarreform hat die Regierung Lula in nur sieben Jahren etwa 2,2 Millionen Menschen nach Amazonien transferiert, die zu dieser Region gar keine Beziehung haben und nun ebenfalls abholzen. Für Greenpeace und die Kirche ist auch das mit ein Grund, das derzeitige nationale Entwicklungsmodell abzulehnen. Der brasilianische Umweltexperte Roberto Smeraldi: „Achtzig Prozent des Bodens für Neuansiedlungen liegt in Amazonien. Jene, die man dorthin schickt, sind arme, verelendete Städter des Südens. Anstatt ihnen Arbeitsplätze zu schaffen, ihnen sozialpolitisch zu helfen, will man sich dieser Leute entledigen, will sie loswerden – und katapultiert sie dorthin, wo der Boden ganz billig ist. Wieder einmal werden Probleme Rest-Brasiliens auf Kosten von Amazonien gelöst.“ Rio de Janeiro ist von Manaus über 4000 Kilometer entfernt.