Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 28. September 2009, Heft 20

Weimarer Bohème

von Norbert Krenzlin

Am 7. November 1775 ist Goethe in Weimar eingetroffen. Er hat zunächst eine Stadtwohnung bezogen. Am 21. April 1776 nimmt er den Garten am Stern nebst Häuschen in Besitz. Damit hat er als Grundbesitzer das Bürgerrecht der Stadt Weimar erworben. Über den Junggesellenhaushalt Goethes schreibt Jochen Klauß in seinem Buch »Genie und Geld – Goethes Finanzen«: »Das Zusammenleben im kleinen Gartenhaus war »recht bohèmemäßig«. »Zu dritt schliefen Goethe« und seine Bediensteten »Seidel und Götze in einer Kammer des engen Hauses.« Und als das Geld wieder einmal knapp war, schlug Seidel vor, »die Almosen zu kürzen, die Wäsche der Diener mit der des Herrn zu waschen (man wusch 12mal jährlich), des Herrn abgetragene Kleider gerecht unter das Gesinde zu verteilen oder nur solche Mägde anzustellen, die zugleich nähen, waschen, bügeln konnten.«
Klauß’ Buch war überfällig, und es kam – zufällig – auch noch zur rechten Zeit. Überfällig, weil es hilft, ein Genie und sein Werk überzeugend zu »erden«, soll heißen: in der Untersuchung den Alltag Goethes zu seinem Recht kommen zu lassen. Es ist, so gesehen, das Gegenstück zum »Geist der Goethezeit«, Und es kam zur rechten Zeit, weil die Auseinandersetzung mit der globalen Finanzkrise, die uns seit einem Jahr in Atem hält, erstaunlicherweise in Goethes Faust einen historischen Ansatz fürs Verständnis heutigen Finanzgeschehens entdeckt hat: »Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn!« (Faust II; 1. Akt). Aber das ist nicht das Thema dieses Buches. Jochen Klauß befaßt sich mit dem bedeutenden materiellen Besitz der Eltern, den Goethe nicht erst geerbt hat, sondern der bereits zur Verfügung stand, wann immer er seiner bedurfte: als Student, Rechtsanwalt, Reisender oder als Kunstsammler. Er erläutert ferner, was der sachsen-weimarische Beamte und Staatsminister an Gehalt und sonstigen Zuwendungen von Carl August erhielt. Das Gehalt wurde immer fürstlicher: »Goethe (erhielt) ab 1. Januar 1816 ein Jahresgehalt von 3 000 Reichstalern, zuzüglich von 100 Talern für die Unterhaltung von zwei Pferden. Titel und Besoldung blieben so bis an sein Lebensende.«
Vergleichbares gilt für die »Zuwendungen«: Auch die waren üppig. »Im Sommer 1792 schenkte Herzog Carl August seinem Freund das für Weimarer Verhältnisse stattliche Wohnhaus am Frauenplan und fügte noch eine Einrichtungszulage von 1 500 Talern hinzu. Der Dichter wohnte nun mietfrei.«
Wenn wir erfahren, daß Goethe die beiden Schriften, die ihn schlagartig berühmt gemacht haben, entweder mit Verlust im Selbstverlag (»Götz«) oder mit nur bescheidenem Gewinn anonym bei Weigandt (»Werther«) herausgebracht hat, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich später an den Verlegern dafür schadlos gehalten hat. Die jedenfalls hatten, wie die Dokumente über die Honorarverhandlungen für Buch- und Zeitschriftenpublikationen zeigen, nichts zu Lachen; bei Schiller übrigens auch nicht.
Daß Goethe, Schiller und viele andere Autoren mit den Verlegern verbissen ums Honorar kämpften, hat etwas mit ihrer sozialhistorischen Stellung im Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft zu tun: die freischaffenden und das heißt ja auch: die freies Denken reklamierenden Schriftsteller und Künstler mußten sich und ihren Kollegen beweisen, daß man von dieser Arbeit leben konnte.
Goethes Briefe und Tagebücher wie auch die zahlreichen Haushaltsund Rechnungsbücher seit 1800, die Staunen machen und vom Autor akribisch ausgewertet worden sind, geben Aufschluß darüber, wie sich die Einnahmen zu den erheblichen Ausgaben verhielten. Zahlreiche Reisen, ein aufwendiger und gastfreier Hausstand, die Familie und etliche Kunstankäufe verschlangen große Summen. Das Thema Geld und die Tatsache, daß Goethe zeit seines Lebens reichlich davon hatte, drängt die Frage auf, wie ihn die Zeitgenossen erlebt haben: großzügig oder als herzlosen Geizkragen? Für beides lassen sich Beispiele finden. »Johann Peter Eckermann, Goethes Vertrauter, Gesellschafter und Mitarbeiter, galt nicht nur als unersetzbarer Helfer bei der Herausgabe der Werkausgabe letzter Hand sowie als treuer Sachwalter bei der Publikation der zwanzig Nachlaßbände; er wird zugleich auch als das Musterbeispiel für Goethes angebliche Kaltherzigkeit und rigide Ausbeutung der um ihn versammelten Mitmenschen zitiert.«
Jochen Klauß hat dem nichts entgegenzusetzen: »Das letztlich unerklärliche Verhalten Goethes hinterläßt im Fall Eckermanns den peinlichen Eindruck von menschlicher Kälte und rücksichtslosem Egoismus.« Zu kompensieren ist dieser »peinliche Eindruck« offensichtlich nur durch den Hinweis auf die zahlreichen, übrigens überzeugenden Beispiele, »in denen Goethe im Gegenteil nicht nur mitmenschlich dachte, sondern auch ganz pragmatisch, praktisch und konkret unterstützte, nämlich mit Zuspruch, mit Einfluß und nicht zuletzt mit Geld.« Wenn Goethe mit etwas gegeizt hat, so mein Eindruck nach Lektüre dieses Buches, dann mit der Zeit, seiner Lebenszeit!
Unter dem 13. Februar 1829 überlieferte Eckermann Goethes Summa in Sachen Geld: »Man muß alt werden, um dieses alles zu übersehen und Geld genug haben, seine Erfahrungen bezahlen zu können. Jedes Bonmot, das ich sage, kostet mir eine Börse voll Gold; eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß, nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes literarisches Einkommen seit mehr als fünfzig Jahren. Außerdem habe ich anderthalb Millionen zu großen Zwecken von fürstlichen Personen ausgeben sehen, denen ich nahe verbunden war und an deren Schritten, Gelingen und Mißlingen ich teilnahm. …
Es ist nicht genug, daß man Talent habe, es gehört mehr dazu, um gescheit zu werden; man muß auch in großen Verhältnissen leben und Gelegenheit haben, den spielenden Figuren der Zeit in die Karten zu sehen, und selber zu Gewinn und Verlust mitzuspielen.«
Die Finanzen gewähren in Klauß’ Untersuchungen Zugang zu einer Kulturgeschichte der Goethezeit und zugleich zur Geschichte der Familie Goethe, beginnend mit Friedrich Georg Göthe, geb. 1656, der den Sprung aus Thüringen nach Frankfurt am Main schaffte und den Grundstein für den familiären Reichtum legte, und endend mit dem Tod Walters (1885), des letzten Enkels Goethes.
Und das kann, wie Jochen Klauß vorführt, trotz schierer Undurchschaubarkeit deutschen Geldwesens, sehr spannend sein.

Jochen Klauß: Genie und Geld. Goethes Finanzen, Artemis und Winkler Düsseldorf 2009 Patmos Verlag GmbH & Co. KG, 219 Seiten, 19,90Euro