Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 31. August 2009, Heft 18

Sonderangebot Auschwitz

von Wolfgang Sabath

Na, gut, man muß das natürlich nicht so ernstnehmen, jeder muß – so verlangen es (weithin akzepierte!) Umstände – irgendwie mit dem Arsch an die Wand kommen. Oder einfach Geld verdienen. Und so müssen eben im sommerlichen touristenüberschwemmten Krakow auch alte »Wolgas« herhalten. »Communist Cars« steht auf den Werbetafeln für Stadtrundfahrten. Was für eine Gaudi! Unter Umständen – es kommt da natürlich auf die Verfaßtheit der Kunden an – vielleicht sogar mit leichtem Gruseleffekt.
An der Straßenecke erste Boten der nicht sehr fernen Hohen Tatra: Frauen verkaufen spindelförmigen braungeräucherten und mit Mustern geschmückten Goralen-Käse. Die Holzbräune und die Muster hatten bei mir vor Jahrzehnten zu dem Irrtum geführt, es handele sich um Holzarbeiten, die da in der Altstadt angeboten werden. Dabei kommen die Muster durch Holzformen zustande; wir kennen dieses Prinzip von Omas Butterformen.
Quartier war in einem Motel im Städtchen Wieliczka genommen, etwa zwanzig Autobusminuten vom Zentrum Krakows entfernt. Über das Motel muß sich nicht weiter geäußert werden, es sei denn, man vermerkt das abgrundtief ungenießbare Gesöff, das zum Frühstücksbuffet als Kaffee ausgegeben wird. Polen und schlechter Kaffee schienen mir bis dato einander ausschließende Angelegenheiten. Nach Wieliczka weiß ich, es gibt Ausnahmen.
Touristenflut schwappt aus Krakow auch nach Wieliczka. Ein altes Salzbergwerk ist zu besichtigen, Kopalnia Soli. Ich habe mir die Besucherzahlen nicht gemerkt (sie waren beeindruckend), wohl aber die der Touristenführer, die hier ihr täglich Brot – so hoffe ich doch – finden: Es sind 400. Die Besucherströme werden perfekt kanalisiert. Ich kann mich nicht erinnern, schon jemals an einem Touristentrubelpunkt eine derartige Organisation erlebt zu haben. Sie kann selbst von Nichtpolen problemlos begriffen werden. Gut, bei der Zahl der Reisebusse, die hier Tag für Tag anrollen, mag das gar nicht anders gehen. Doch Reisebusse haben in der Regel Reiseführer, da mögen den angereisten Fremdländern Irritationen organisatorischer Art weitgehend erspart bleiben. Aber in Wieliczka kommt selbst der »Individualtourist« zu recht. Haben Sie schon einmal die hilflosen Menschentrauben Auswärtiger vor den Fahrscheinautomaten der Berliner BVG gesehen? Dann wissen Sie, was ich meine. Eine Kapelle hat die Mine auch, von der kann, wer will, eine CD kaufen, »Hymny i marsze«.
Wir waren etliche Stunden untertage. Wieder »oben«, draußen scheint die- Sonne. Was soll sie auch sonst tun – sie scheint, oder sie scheint nicht. Auf dem Vorplatz verteilt ein Mädchen Flyer. Ein Reisebüro namens cracow city tours hält ein SPECIAL OFFER bereit: Auschwitz-Birkenau und Salt Mine on one day! Das Reisebüro ist vielseitig. Schindlers ehemalige Fabrik kann besichtigt werden, es gibt eine John-PauI-II.-Route und Fahrten nach Zakopane oder Rafting-Touren auf dem Dunajec und vielerlei anderes. Doch ein Special Offer haben sie nur eines, ist ja klar, darum ist es ja auch ein Special Offer.
Auch den Communist Cars begegne ich im Werbeblatt wieder und lese, daß es damit COMMUNISM TOURS gibt, bei denen sie nicht nur den »Wolga« zu Verfügung haben, der mir in der Altstadt aufgefallen war, sondern auch Trabant, Fiat 125 und Lada. Eben kommunistische Autos.
Abends ist Wieliczka eine verschlafene Kleinstadt. Nur die Lädchen, aus denen sie Wodka nach Hause tragen, haben geöffnet. Täglich, sieben Tage in der Woche. Immer von 9 bis 24 Uhr. Und wenn ich täglich schreibe, meine ich täglich.
*

Przemysl, Grenzstadt nicht erst seit heute. Pschemüschel, wie der Deutsche sprechen tut, hatte die k-u.k-Militärverwaltung bis 1914 dreißig Jahre lang mit Forts und anderen Festungsanlagen ausgestattet, doch die hielten im Weltkrieg I den Truppen des Zaren nicht stand. Aber immerhin gibt es heute darum ein Festungsmuseum in der Stadt. Und, quasi als Ausgleich, auch ein Schwejk-Denkmal. Dazu einen »Verein der Freunde des braven Soldaten Schwejk«. Der präsentiert sich im Stadtzentrum mit einem riesigen Aufsteller mit einem Foto der Vereinsmitglieder, allesamt zeitgenössisch kostümiert. Lustig ist das Soldatenleben. In Sanok, etliche Dutzend Kilometer weiter westwärts und wie Przemysl am San gelegen und zu anderer Zeit auch schon einmal »Grenzstadt« (zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetreubliken/UdSSR ) und dem Generalgouvernement Polen des Deutschen Reiches), gibt es auch eine Skulptur des gemütlichen Rekruten. Denn Schwejk stand am San, und der San ist lang.
Sanok und Przemysl haben sich – wie andere Städte der Region auch – in den letzten Jahren auffallend verändert. Ich bemerke allerorts neu gepflasterte Gehwege – allesamt im bekannten EU-unilook. Allerorts auch neue Straßen durch Gebirg und Tal in den Bieszczady und daran angrenzenden Mittelgebirgszügen und -ausläufern. Und aufgeputzte Zentren vieler kleiner Städte. Vor allem Przemysl hatte ich anders in Erinnerung. Damals fielen an jenem Tage, als ich dort anfing, die Kirchtürme zu zählen (als ob nicht schon die verwirrend große Zahl der in dieser Stadt miteinander konkurrierenden Konfessionen gereicht hätte …), auf dem zentralen Platz armselige Händlerinnen von jenseits der Grenze auf, die die Gunst der Grenznähe und das Preisgefälle zwischen Polen und der Ukraine nutzten. Außerdem wurde man auf Schritt und Tritt angeraunt, ob man Zigaretten kaufen wolle. Und in einer Nebenstraße unweit des Marktes war eine Art Zollbüro, wo – wenn ich das damals richtig begriffen hatte – die Ukrainerinnen jene Waren deklarieren lassen konnten, die sie in Polen von dem Erlös ihrer Waren erstanden hatten. Von alledem sehe heute ich keine Spuren mehr. Es ist »Ordnung« eingezogen, EU-Ordnung. Polen ist Außengrenze, und nichts scheint dagegen zu sprechen, daß man darauf auch noch stolz ist. Doch wie das so ist, und meist überall: So eine Visa-Regelung trifft zuvörderst arme Schlucker. Denn es sind, erkennbar an den Autoschildem, in Przemysl natürlich weiterhin viele Ukrainer zugange. Oft in diesen klotzigen, schwarzen oder silbergrauen Zuhältergeländewagen. Nein, natürlich sind die nicht alle Zuhälter, aber »Bisnesmeni« auf jeden Fall. Da sind Grenzen mitunter fließend.
In der Wochenzeitung Nowe Podkarpacie titeln sie, daß eine Radtour nicht stattfinde: Ukrainer wollten mit Rädern eine Art »Bandera-Gedenkfahrt« veranstalten und unter dem Dreizack-Banner der einst naziverbündeten Bandera-Banden Kundgebungen abhalten … Die polnischen Behörden verhinderten das im letzten Moment, obwohl die Visa schon ausgestellt (… aber erschlichen!) gewesen waren. Komisch, auch diese geplante »Bandera-Gedenkfahrt« entging der deutschen demokratischen Presse …
Wir haben die Serpentinen bei Przemysl hinter uns gelassen und fahren – immer nach Süden entlang der »EU-Außengrenze« – wieder in die Waldkarpaten. Im Autoradio schnarrt auf Langwelle fast ungenießbar Deutschlandradio Kultur. Doch auf Warschau I (UKW) klinken sie unvermutet einige Minuten Deutsch für Kürzestnachrichten und den Wetterbericht ein. In Radom streiken die Krankenschwestern immer noch um höhere Löhne. Das tun sie schon seit Wochen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie unkommentiert gemeinhin derartige Vorgänge (wie beispielsweise die Arbeitskämpfe der Bergarbeiter auch …) in der deutschen Presse bleiben. Hierzulande sind polnische Tranformationsgewinnler gelittener, wie letztens in der Berliner Zeitung (ganzseitig: »Wohlleben in Warschau«). Dann melden sie noch (ein Glück, daß uns dieser Schreck nicht gerade in einer heftigen Serpentine erwischt), »die einzige DDR-Ikone Nina Hagen« mache Wahlkampf für die Grünen. Einzige DDR-Ikone? Wer hat denn dem Sprecher diesen Blödsinn ins Manuskript geschrieben. Paul sagt: Die ist ja verrückt. Ich sage: Die Grünen auch. Und denke: Da haben wir Wähler aber Glück gehabt, daß sie sich nicht der LINKEN andiente, die hätte doch auch nicht nein gesagt.
Abends am Lagerfeuer singen alte Knaben Marsz, Marsz Polonia! Was ist das? Ach, sagt Piotr, das ist einfach ein Kampflied. Wie zum Beispiel die Warszawianka? Ja, vielleicht, flunkert er mir ungeniert ins Gesicht. Denn er betreibt eine Pension. Er muß mit allen Gästen können. Auch mit Knackern, die alte Kampflieder singen, die von Kriegszügen in Nachbarstaaten künden.