von Dorit Lehrack, Hanoi
Was eigentlich ist »links«, und was bedeutet »sozialistische Marktwirtschaft«? Zwei unter vielen brennenden Fragen, mit denen sich in Vietnam ein Büro wie das der Rosa-Luxemburg-Stiftung auseinanderzusetzen hat.
Meint man, es sei für eine linke Stiftung einfach, in einem links ausgerichteten Staat wie Vietnam, also gleichsam als Freund unter Freunden, inhaltlich Position zu beziehen, erweist sich das als zu kurz gegriffen. Der Transformationsprozeß, den die Menschen dieses Landes durchlaufen, ist ohne Beispiel. Zwar schaut Vietnam verstohlen auf China, aber auch das große Nachbarland hat Probleme, seine Grundwerte für die Gestaltung einer harmonischen Gesellschaft – in Vietnam ebenfalls das Leitbild – zu definieren und unter ein Volk zu bringen, das nun zuallererst einmal konsumieren und genießen möchte. Die junge Gesellschaft Vietnams – fast achtzig Prozent der Vietnamesen sind unter dreißig und kennen den Vietnamkrieg nur vom Hörensagen – ist wenig an historischen Lernerfahrungen interessiert, die für eine Transformation des Landes in eine gerechte, faire und nachhaltige Gesellschaft wichtig sein könnten, sondern setzt sich lieber aufs eigene Moped und arbeitet von morgens bis abends für das Eigenheim – die erklärte Vision der jungen Vietnamesen.
Noch recht überschaubar ist die Zahl der engagierten Menschen, die sich in Vereinen organisieren, um Schwächeren zu helfen, die Umwelt zu schützen oder Mitbestimmung des einzelnen zu stärken. Wir nennen das, etwas abgehoben, Basisdemokratie – die übrigens im Sinne der Regierung ist und von dieser auch gefordert. Je mehr Menschen sich für das Wohl des Landes und das Gemeinwohl seiner Bürger engagieren, desto besser kann die Umgestaltung gelingen und desto weniger Menschen werden dabei auf der Strecke bleiben – so jedenfalls die Hoffnung.
Die Grundsatzdebatten um Fragen wie »Was ist links?« und »Wieviel Sozialismus braucht die Marktwirtschaft?« spielen in der Kooperation mit Partnern eher eine nachrangige Rolle: Hier geht es um praktische Fragen, beispielsweise »Wie erarbeitet man einen Gemeindeentwicklungsplan, an dem die Gemeinde auch Interesse hat und der deshalb auch die Chance einer Umsetzung hat?« Und, um die davor zu stellende Frage: »Wie interessiere ich die Gemeinde überhaupt an ihrer Gemeindeentwicklung?« In einer Gesellschaft, die über viele Jahre die Intiative dem Staat überlassen hat, bedarf es eines hohen Kommunikationsgeschickes, die Menschen zu überzeugen, daß eine verantwortungsbewußte und informierte Selbstgestaltung die besseren, also nachhaltigeren Chancen besitzt.
Neben den Partnern aus der sich formierenden Zivilgesellschaft stößt auch auf Kräfte, die maßgeblich zur Transformation beitragen: die potenten staatlichen und akademischen Institutionen. Hier geht es um Gestaltung der großen Politik – und da ist sie dann wieder, die Frage nach dem »links«. Wenn wir meinen, diese erschöpfend beantworten zu können, irren wir uns, weil wir uns ganz schnell im Gewirr unserer eigenen so grundverschiedenen linken Positionen verstricken, deren Widersprüchlichkeiten, ja Antagonismen, die Vietnamesen akribisch aus uns herauszukitzeln suchen. Mit unseren Erfahrungen nach zwanzig Jahren vereinigtem Deutschland sind wir wenig hilfreich in dem Versuch, das »Sozialistische« in der vietnamesischen Marktwirtschaft befriedigend zu definieren oder Trends und Tendenzen zu postulieren. Es erstaunt selbst gestandene und politisch sattelfeste sich »links« definierende Referenten aus Deutschland, welche Fragen von aufmerksamen Zuhörern und analysierenden Wissenschaftlern zur Position der Linken in unserem Lande gestellt werden und wie schwer deren Beantwortung ist. Um so spannender ist das Ringen um Positionen, die der Sehnsucht nach einer gerechteren Welt, die wir ehemals gar »kommunistisch« tituliert haben, zugrundeliegen. Die politische Debatte, in der beide Seiten voneinander lernen, könnte auch in die linken Debatten in Deutschland Eingang finden. Der Perspektivenwechsel ist in jedem Fall bereichernd.
Letztlich geht es darum, die Politikgestalter und Politikmacher der »oberen Hierarchien« mit den praktischen Gestaltern der »unteren Ebenen« zusammenzuführen. Die Transformation Vietnams aus der Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft, die sozial- und umweltverträglich und in gewissem Maße gerecht sein sollte, bedingt, daß Politikentscheider wissen, wie sich das Leben der Gesellschaft unter diesen Veränderungen gestaltet und gestalten läßt. Die Veränderungsprozesse müssen verstanden, analysiert und gesteuert werden, und das geht nur im Zusammenwirken aller positiven gesellschaftlichen Kräfte.
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