von Liesl Markowski
Eine Uraufführung zum Saisonschluß in Berlins Komischer Oper: »Hamlet« von Christian Jost, Adaption des berühmten Shakespeare-Stückes und Auftragswerk des Hauses in der Behrenstraße. Das Libretto schuf der Komponist selbst nach dem Originaltext und der Übersetzung August Wilhelm Schlegels. In »12 musikdramatischen Tableaux« wird die tragische Geschichte des dänischen Prinzen erzählt. Es sind Ebenen oder Bilder der gestrafften Szenenfolge, die Zustände oder Momente der Konflikte offenbaren. Jedes Tableau hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Klangwelt. Es geht über das Sujet hinaus um den Weg der Erkenntnis eines jungen Menschen, der durch ein schockierendes Erlebnis ins Chaos des Lebens gerät. Machtgier, Verbrechen und Rache fordern existentielle Fragen heraus: Sein oder Nichtsein – am Beispiel Hamlets und seiner mörderischen Königsfamilie. Strenge Identität des bekannten historischen Vorwurfs?
Klingende Gestik und Haltung des Ganzen weisen in unsere Gegenwart. So läßt vorherrschende angespannte Pathetik der Musik gleichsam kein Entrinnen zu: Pralle, teils brutale Energie der Klänge attackiert den Hörer. Sie lassen an drohende Gefahren von heute denken. Es gibt aber auch eine differenzierte Palette der Farben des zweigeteilten Orchesters, entsprechend den wechselnden Tableaux, wie kunstvolle Motivik, was den gestalterischen Anspruch des Komponisten bestätigt. Dies gilt nicht weniger für die vokale Sphäre, gesungen in Deutsch und bei einigen prägnanten Passagen im englischen Original (alles in Übersetzung eingeblendet): Dem feinsinnig charakterisierenden Sologesang wie dem in drei Gruppen geteilten Chor sind Raum und Zeit zur sinnlichen Entfaltung gegeben, ja, sie können sich in der Zahl anwachsend im Klanggeschehen behaupten, damit Humanes durchsetzen. Eindrucksvoll und ungewöhnlich ist, daß der Geist von Hamlets Vater durch sechs Männer, die »Inneren Stimmen« (Gedanken der Protagonisten) von Frauen gesungen werden, die überhaupt besonders bevorzugt sind, auch den Hamlet gibt hier eine weibliche Darstellerin. Zum Gesamtchor vereint wird der Gesang schließlich eine Stimme der Allgemeinheit: Beim bewegenden Trauerchor für Ophelia und vor allem beim abschließenden chorisch gesungenen Hamlet-Monolog »Sein oder Nichtsein«, der in erregender Steigerung nach dem Sinn des Lebens fragt und den Hörer als Adressaten einbezieht (Choreinstudierung: Robert Heimann).
Die Aufführung mit dem Orchester und Chören des Hauses wurde von Carl St. Clair inspirierend geleitet und hatte vorzügliches musikalisches Niveau. Glänzend der Sologesang eines erlesenen Ensembles mit der wunderbaren Mezzosopranistin Stella Doufexis in der Titelrolle. Die Inszenierung von Andreas Homoki begnügte sich mit einer Einheitsszene in Schwarz-Weiß, dominiert durch eine große bewegliche Scheibe nebst Wendeltreppe, wo sich die in ihrem einheitlich eleganten weißen Dress schwer zu unterscheidenden Protagonisten auf und ab bewegen, gleichsam hermetisch in ihrem Milieu gefangen (Bühne, Kostüme: Wolfgang Gussmann). Kontrastvoll stiegen dagegen die Choristen von unten als mahnendes Gewissen empor. Heutiges war im Szenischen kaum auszumachen, es trat in der harten Gestik vieler Klangkombinationen hervor, während sich sonst eigentlich Shakespeares Drama behauptete. Dennoch eine interessante, wenn auch schwer zu rezipierende Begegnung mit heutigem Musiktheater.
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