Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 22. Juni 2009, Heft 13

Wunderliches Dörfchen

von Ulrike Köpp

Neulich im schönen Monat Mai besuchte ich nach einer halben Ewigkeit das Dorfmeiner Mutter, das alte im lieblichen Thüringen. Ich fand es wieder, wie meine Erinnerung es über dreißig Jahre bewahrt hatte: Da lag es an den sonnigen Hängen des Schloßbergs inmitten der grünen Berge, die es umfingen. Und immer noch krähten zu meiner Verwunderung unermüdlich die Hähne.
Dieses Krähen der Hähne und die Sonne über dem friedlichen Dorf wie zu Zeiten meiner Kindheit, sie rührten mich. Nicht, daß die Zeit stillgestanden wäre. Nein. Die Lage des Dorfes ist unabänderlich. Die lichtgrünen Täler schließen es ein und öffnen es zugleich. Aber nicht zu weit – wer mit dem Auto ins Dorf kommt, muß es durchs selbe Tal auch wieder verlassen. Daran hatte sich nichts geändert. Das Dorfkonnte sich nur entwickeln, indem es bei sich blieb. Es kann sich nicht ausdehnen, die Berge sind seine natürlichen Ränder.
Glücklich sank ich am Abend in den Schlaf, viel tiefer als gewohnt, wie mir schien. In der ersten Nacht hörte ich hin und wieder die Kirchenglocke. Um zwölf, um zwei, um sechs … Das Läuten der Glocken mehrte noch meine Seligkeit. Doch die zweite Nacht schon vernahm ich sie nur einmal.
Als ich aber am dritten Morgen aufwachte, machte ich mir Sorgen, ob die Uhr wohl kaputt gegangen sei. Nicht ein einziges Mal hatte ich sie schlagen hören. Erst um sieben wieder, als ich schon hellwach, hörte ich das Glockenspiel. Die Kirchenuhr war also ganz, was nur heißen konnte, ich hatte tief wie sonst nie geschlafen. Noch ein paar andere ungewohnte körperliche Symptome verwunderten mich. Aber die Sache erklärte sich mir schnell, und zwar, als wir telefonieren wollten: Das Dorf liegt in einem Mobilfunkloch. Dergleichen gibt es noch. Und das elektrisierte mich, metaphorisch gesprochen. Vielleicht sollte ich hierher ziehen.
Ich bin elektrosensibel. Elektrosensible sind anders als in Schweden in diesem Land keine anerkannte Spezies. Wären sie anerkannt, müßten sie nach dem Grundgesetz als eine Minderheit mit ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschützt werden. Aber das kann der Staat natürlich schlecht, wenn er mit der Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen sein Geld verdient. Ich sprach den Wirt des Gasthauses auf die Besonderheit des Ortes an. Ja, die sei bekannt; Schlafforscher von der Berliner Charité wären da gewesen und hätten drei Wochen lang wissenschaftliche Untersuchungen angestellt. Er, der Wirt, habe selbst als Versuchsperson daran teilgenommen. Aber die Forscher hätten nichts Auffälliges gefunden. Aber wer weiß, was die Forscher gesucht haben, und was sie finden wollten.
Ich weiß, wovon ich rede. Vor Jahren hatte ich einer Psychologin von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin als Probandin für Untersuchungen zur Entstehung von Elektrosensibilität gedient.
Es sei nichts rechtes bei rausgekommen, wie mir Frau Dr. Kaul auf Nachfrage sagte und verwies mich auf ihren kurzen Artikel in Symposium Medical 6/2006. Den konnte ich indessen nur mit Kopfschütteln lesen. Da begründete die Psychologin ihr Forschungsprojekt mit folgender Bemerkung: »Physikalisch bedingte Immissionen elektromagnetischer Felder im Nieder- und Hochfrequenzbereich, deren Intensität weit unterhalb gesetzlich verbindlicher Grenzwerte liegt und deren physikalische Eigenschaften deshalb (! – U. K.) nicht biologisch wirksam sein können, sind dennoch häufig Grund für Beschwerden über ›Elektrosmog‹. Die zwischen Betreibern und Betroffenen in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutierte Interessenlage drängt darauf, die Bedingungen für das Entstehen einer ›Elektrosensibilität‹ klären zu müssen.«
Ich hatte mich also zur Närrin gemacht. Daß Forschungen nicht allein von streng wissenschaftlichen Interessen geleitet sind, weiß ein jeder. Aber eine so unverblümte Begründung, daß man erforschen müsse, daß nicht sein kann, was nicht sein kann, die findet man gewiß nicht alle Tage. Mir gegenüber hatte die »Forscherin« die tatsächlichen Beweggründe für ihr Projekt natürlich verhehlt. So fühle ich mich noch im nachhinein von ihr benutzt.
Aber vielleicht versuchen die Forscher von der Charité es ja noch einmal mit mir. Ich verfüge mittlerweile über reichlich Erfahrung mit elektromagnetischen Feldern und Impulsen und kann auch bei der kritischen Sicht auf die Versuchsanordnungen der Wissenschaftler mitarbeiten.