Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 22. Juni 2009, Heft 13

Lehr- und Bubenstück

von Gerd Kaiser

Jerzy Sosnowski, Major der Polnischen Streitkräfte, wurde auch 1926, nunmehr dreißigjährig, wie alljährlich von seinen Vorgesetzten überprüft. Sie bestätigten ihm, nicht zum ersten Mal, vorzügliche Eignung für den Dienst. Seine ersten Sporen hatte er sich bei der Kavallerie im österreich-ungarischen k.u.k.-Militär verdient. Stammte er doch aus einer in Lemberg ansässigen Familie, jener Großstadt, die bis 1918 zum Habsburger Reich gehört hatte. Seinen Dienst in dieser Truppe verstand er, wie die meisten seiner polnischen Kameraden, stets als Wechsel auf die Zukunft. Lebten und kämpften sie doch für das Wiedererstehen Polens, das Zaren, Habsburger und Hohenzollern unter sich aufgeteilt hatten. Seit die Kronen der genannten und weiterer Herrscherhäuser unter dem Sturm der europäischen Revolutionen von 1918 übers Straßenpflaster gekullert waren, diente Rittmeister Sosnowski wie hunderte seiner Kameraden auch, die zuvor in fremden Heeren Dienst geleistet hatten, unter Josef Pilsudski, der zuvor unter preußischem Kommando eine Polnische Legion angeführt hatte. Aus den polnischen Legionären wurden ab 1918 die Streitkräfte der wiedererstandenen Republik Polen.
Im Generalstabsdienst kam der junge, kriegserfahrene Rittmeister und weltmännische Lebemann mit exzellenten Deutschkenntnissen schnell zu Majorsehren, wurde Stabsoffizier. Dies in einer der beiden wichtigsten Spionageabteilungen des Generalstabs, der Abteilung »N«, die Abkürzung für »Niemcy«, Deutschland. Die andere, wenn möglich noch wichtigere Abteilung war die Abteilung »R«, deren Stoßrichtung gegen »Rosja«, Rußland, zielte.
Als Georg von Sosnowski und Ritter von Nalecz traf der Sohn eines polnischen Ingenieurs mit einem, wie es heutzutage heißt, »adligen Hintergrund« sowie auskömmlich mit »Penunzen« ausgestattet in Berlin ein. Schnell nahm ihn die »bessere Gesellschaft« an, ihr weiblicher Teil auch in die Arme. Sein Weg führte ihn via Trab- und Galopprennbahnen sowie Spielcasinos im weltoffenen Zopot, in Karlshorst und Hoppegarten – wo sich ehemalige und aktive Offiziere beim Pferderennen wie beim gelegentlichen Flirt trafen und wo man sich »zum Tee« oder »auf ein Spielchen« verabredete – Schritt für Schritt dorthin, wo ihn sein Dienst haben wollte. Schnell lernte der polnische Offizier den jungen Abwehroffizier der Reichswehr im Wehrbereichskommando Berlin Günther Rudloff kennen, einen Spieler, der bei Wetten und beim Spiel immer waghalsigere Einsätze wagte. Sosnowski versorgte ihn bald mit immer größeren Summen und wurde dafür seinerseits mit geheimen Kenntnissen über die Absichten und die Identitäten deutscher Spione in Polen versorgt. Rudloff zahlte mit immer detaillierteren und immer wichtigeren Informationen über die Innereien der Abwehr unter Admiral Canaris und Ferdinand von Bredow, auch führte er den »Kameraden« in immer neue Kreise ein.
Bald hatte der auch in Minnediensten erfolgreiche Major sein feinmaschiges Spionagenetz geknüpft. Ihm gehörten Irene von Jena, Benita von Falckenhayn und Renate von Natzmer an. Benita von Falckenhayn, deren Onkel im Ersten Weltkrieg eine Zeitlang Chef des Generalstabes gewesen war, hatte Sosnowski im mondänen Zopot kennengelernt. Sie war es, die den doppelgesichtigen Offizier mit Renate von Natzmer bekanntmachte. Sie und weitere Damen adligen Geblüts wie Lotte von Lammel und Isabell von Tauscher hatten allesamt Schlüsselstellungen inne. Aus »bester Familie« stammend, erledigten sie hier zwar nur subalterne Sekretariatsarbeiten, hatten jedoch in den Vorzimmern der Macht den gleichen Einblick in Mobilisierungs- und Aufmarschpläne sowie in Rüstungsprojekte der Heeres- oder Luftwaffenrüstung wie die jeweiligen Entscheidungsträger. Der Spionagering lieferte erstklassige Informationen, die beteiligten Frauen ließen sich erstklassig bezahlen. Irene von Jena, in der Finanzabteilung des Reichswehrministeriums tätig, lieferte Angaben zu Rüstungsplanungen im Bereich von Luftwaffe und Panzerwaffe. Ihr hatte sich Sosnowski als britischer Offizier genähert und war ihr wie auch anderen Damen und deren Panzerschränken sehr nahegekommen.
Nichtsdestoweniger kam beim Chef der polnischen Militärspionage der Verdacht auf, sein Mann in Berlin trüge auf zwei Schultern und liefere für viel Geld »Spielmaterial« der deutschen Gegenspionage. Deshalb schickte er Oberstleutnant Adam Studanski nach Berlin. Der hatte die Echtheit einer teuren Lieferung von Spionagematerial zu prüfen. Letzten Endes wurden die zwei Millionen Złoty gezahlt. Doch als 1930 die Unterlagen über ein komplettes »Kriegsspiel« (so die Tarnbezeichnung) 400 000 Reichsmark kosten sollten, stieg der Warschauer Chef zumindest partiell aus dem Geschäft aus und überließ den französischen und britischen Spionagezentren das Feld, die unverhofft zu einem »Schnäppchen« kamen. Im »Kriegsspiel« ging es um langfristige strategische, mittelfristige operative und rüstungswirtschaftliche Planungen. Briten, Franzosen und als Juniorpartner die polnische Militärspionage schlugen dabei jahrelang zwei Fliegen mit einer Klappe. Erfuhren sie doch sowohl von der durch den Versailler Vertrag verbotenen Panzer- und Luftwaffenrüstung der Reichswehr als auch davon, daß diese Waffen gemeinsam mit der Roten Armee auf den abgeschotteten Übungsplätzen im fernen Kasan und Lipezk erprobt wurden. An der umfassenden Heeresmotorisierung beteiligt war neben anderen die Opel AG. Deren Belegschaftsstärke stieg von 6 442 Mann im Jahre 1932 auf über 18 000 im Jahre 1934, dem letzten Jahr des Spionagerings, an dem letztlich auch die USA partizipierten – auf direktem Wege über General Motors, die zwischen 1929 und 1931 Opel mit Mann und Wagen gekauft hatten.
1934 zerriß das Spionagenetz. Wie in einem Schundroman lieferte eine eifersüchtige Frau, die Schauspielerin Marie Kruse, ihren Geliebten Jerzy Sosnowski der Abwehr ans Messer. Zu später Abendstunde begann am 27. Februar 1934 am Lützowufer 36 die Verhaftungswelle. Alle Beteiligten, ausgenommen Günther Rudloff, kamen in Gestapohaft. Im Jahr darauf, am 16. Februar 1935, urteilte der 3. Senat des inzwischen eingerichteten sogenannten Volksgerichtshofes sie ab. Irene von Natzmer erhielt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, desgleichen Jerzy Sosnowski. Zum Tode verurteilt und zwei Tage später hingerichtet wurden Benita von Falckenhayn und Renate von Natzmer.
Jerzy Sosnowski wurde bereits ein Jahr später – als polnischer Staatsangehöriger war er nicht wegen Verrats angeklagt worden – gegen sieben deutsche Spione ausgetauscht. Wegen Landesverrats verurteilte ihn im Juni 1939 ein polnisches Militärgericht zu einer 15jährigen Freiheitsstrafe.
Sein Tod ist wie sein Leben von Geheimnissen überwuchert. Er soll 1939, als sich von Westen Wehrmachtstruppen und von Osten die Rote Armee dem Gefängnis näherten, von den Wachen erschossen worden sein. Dies ist die Version eines Abwehroffiziers, der im Dienst von Admiral Canaris stand. Eine zweite, polnische, Version besagt, Sosnowski sei im September 1939 als »Kriegsgefangener« eines nicht erklärten Krieges in die Hand der Roten Armee gefallen. Am 26. Mai 1942 sei er bei Saratow zu Tode gekommen.