Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Vom Nutzen Achmadinejads

von Uri Avnery, Te1 Aviv

Ich sage nicht, daß Mahmoud Achmadinejad ein Agent des Mossads, des israelischen Geheimdienstes, sei. Ich will nicht wegen Verleumdung belangt werden. Ich sage nur, wenn er ein Agent des Mossads wäre, hätte er sich kaum anders verhalten. Und: Wenn es ihn nicht geben würde, dann hätte der Mossad ihn erfinden müssen. Auf jeden Fall ist die Unterstützung, die er der Regierung Israels gibt, von unschätzbarem Wert.
Vor Jahren wurde von der UN in Durban, Südafrika, eine Konferenz gegen Rassismus abgehalten. Es war verständlich, daß solch ein Forum unter anderem die israelische Regierung für ihre Politik gegen die Palästinenser – die Besatzung, die Siedlungen, die Mauer – angreifen würde. Aber die Konferenz war damit noch nicht zufrieden. Sie wurde zu einer Plattform für eine wilde Hetze gegen den Staat Israel – und ausschließlich gegen ihn. Kein anderer Staat der Welt wurde wegen Verletzung der Menschenrechte kritisiert – und unter den Kritikern waren einige der wider1ichten Tyrannen der Welt.
Als die Vorbereitungen für eine zweite »Durban-Konferenz« – dieses Mal in Genf – anliefen, tat die israelische Regierung alles, was in ihrer Macht stand, um wenigstens die Länder Nordamerikas und Europas davon zu überzeugen, die Konferenz zu boykottieren. Die israelische Regierung erwartete die Konferenz mit großer Besorgnis. Da Achmadinejad das einzige Staatsoberhaupt war, das an der Konferenz teilnahm, konnten die Organisatoren es nicht verhindern, daß er als erster sprach. Es genügte ihm nicht, Israel zu kritisieren: Seine Worte waren von hemmungslosern Haß geprägt.
Das geschah am Holocausttag. Alle Juden empfinden es als ihre moralische Pflicht, das Gedächtnis an den Holocaust wachzuhalten. Diesem tiefen Empfinden wird eine politische Sichtweise hinzugefügt: Das Gedenken an den Holocaust veranlaßt Juden überall, den Staat Israel zu unterstützen, der sich selbst als Staat der Shoa-Überlebenden definiert.
Aber mit der Zeit verblaßt die Erinnerung. Deshalb ist ein gegenwärtiger, aktueller Feind, ein »zweiter Hitler« nötig, der alle latenten Ängste, die in der jüdischen Seele lauem, neu weckt. Einst war es Gamal Abd-al-Nasser, »der ägyptische Tyrann«. Dann spielte Yasser Arafat diese Rolle. Heute ist es die Hamas. Aber dies genügt nicht. Achmadinejad ist ein idealer Ersatz. Er ist ein konsequenter Holocaustleugner. Er erklärt‚ die »zionistische Entität« müßte von der Landkarte verschwinden. Er arbeitet an der Herstellung einer Atombombe. Und dies ist ein ernstzunehmendes Faktum; denn ein paar Atombomben auf israelische Bevölkerungszentren könnten Israel tatsächlich auslöschen.
Die vermutete iranische Atombombe spielt noch eine andere Rolle. Sie dient auch dazu, das palästinensische Problem in Vergessenheit geraten zu lassen. Demnächst wird sich Netanyahu persönlich im Weißen Haus vorstellen. Das könnte ein schicksalhaftes Treffen werden. Präsident Barack Obama könnte eine klare Forderung stellen: mit einem Friedensprozeß zu beginnen, der zur Schaffung eines palästinensischen Staates führt. Netanyahu wird sich verzweifelt darum bemühen, dies zu verhindern; denn Frieden würde die Evakuierung der Siedlungen bedeuten. Aber wenn er damit einverstanden wäre, würde seine Koalition sofort auseinander fallen. Was also kann man da tun? Nun – Gott sei Dank – gibt es die iranische Bombe.
Hinter all diesem steckt eine Menge Ironie. Den Iran interessierte die Misere der Palästinenser am wenigsten. Auch Achmadinejad kümmert sich einen Dreck um sie. Wie alle nahöstlichen Regierungen benützt er die palästinensische Sache, um eigene Interessen voranzubringen. Jetzt will er die sunnitischarabische Welt durchdringen, um den Iran zu einer regionalen Vormachtstellung zu verhelfen. Zu diesem Zwecke erhebt er das Banner für den palästinensischen Widerstand. Doch bisher ist es ihm nur gelungen, die sunnitisch arabischen Regime in die Arme Israels zu treiben.
Achmadinejads begeistertste Anhänger sitzen im Verteidigungsministerium in Te1 Aviv. Jedes Jahr gibt es aufs neue einen Kampf um die Höhe des Verteidigungsbudgets. Das kleine Israel hat einen der größten und teuersten Militärapparate der Welt, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt übertrumpfen wir leicht die USA- und erst recht Europa. Die Begründung: Israel sei von Feinden umgeben. Zwar ist Ägypten jetzt der loyalste Kollaborateur Israels, und der Irak hat zunächst die Bühne verlassen. Syrien hat schon lange aufgehört, eine Bedrohung zu sein; Jordanien ist bescheiden, die palästinensische Behörde tanzt nach unserer Pfeife. Es ist nicht so leicht, ein riesiges Verteidigungsbudget mit dem Kampf gegen die kleine Hisbollah und die winzige Hamas zu rechtfertigen. Aber da ist noch der Iran, Gott sei Dank.
Das Budget wird wohl genehmigt Werden; aber die Flieger werden nicht gen Teheran fliegen. Es ist nicht einmal klar, ob solch ein Angriff überhaupt militärisch machbar wäre, aber vor allem: Solch ein Angriff ist politisch nicht möglich. Er kann ohne die Genehmigung der USA nicht erfolgen, und für die gibt es keine Chance. Der Angriff würde die Schließung der Hormuz-Meeresstraße zur Folge haben, durch die alles Öl des Golfs verschifft wird.
Wenn sich Achmadinejad wie ein Mossad-Agent verhält, dann verhält sich – könnte jemand forsch auf die Idee kommen – Avigdor Lieberman wie ein Agent des iranischen Geheimdienstes. Denn Liebermans Verhalten ist tatsächlich – wie soll ich sagen – etwas seltsam. Nachdem er zunächst Hosny Mubarak zur Hölle gewünscht hatte, berichten die israelischen Medien, daß der wichtigste ägyptische Minister sich mit ihm getroffen, seine Hand geschüttelt und ihn nach Ägypten eingeladen habe. Vielleicht wollte er ihm den Assuanstaudamm zeigen, den Lieberman einst zu bombardieren wünschte. Aber am nächsten Tag reagierte ein wütender Mubarak und leugnete die ganze Geschichte und erklärte, daß es Lieberman nicht erlaubt sei, seinen Fuß auf ägyptischen Boden zu setzen.
Jetzt veröffentliche eine russische Zeitung ein Interview mit Lieberman, in dem er behauptete, daß »die USA alle unsere Entscheidungen akzeptieren«. So eine Äußerung wird Israels Popularität im Weißen Haus nicht gerade vermehren. Besonders jetzt, nachdem bekannt wurde, daß die Israel-Lobby AIPAC eine Kongreßabgeordnete angefragt hat, zugunsten von zwei amerikanischen Juden zu intervenieren, die wegen Spionage für Israel angeklagt wurden. Dafür – so versprach die AIPAC – würde man die Kongreßabgeordnete zur Vorsitzenden eines sehr wichtigen Komitees ernennen. Wie? Sehr einfach: AIPAC wird der Mehrheitsführerin des Kongresses sagen, daß wenn sie dem Wunsch nicht entspricht, ein gewisser jüdischer Milliardär aufhören würde, ihren Wahlfonds zu unterstützen.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, redaktionell gekürzt