Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 11. Mai 2009, Heft 10

Die Maler von Ferch

von Renate Hofmann

Ein kühler, feuchtverhangener Tag am Schwielowsee. Unfern Berlin, näher Potsdam. Hügellandschaft, eiszeitlich geformt, und die kleine Ortschaft Ferch. Das »Malerdorf Ferch«. Es darf sich so nennen. Der See mit seinen schilfbestandenen Ufern, dem Dickicht im Erlenbruch, den Wegen, auf die alte Bäume Früchte und Herbstlaub werfen; Wiesenschläge, Obstgärten, welliges Land und weite Sicht.
Maler kamen um die Wende zum 20. Jahrhundert nach Ferch, ließen sich von Licht und wechselreicher Landschaft einnehmen. Gingen, kamen wieder oder blieben gar, dem Wandelspiel der Natur ergeben. So entstand zwar nicht eine zweite Schule von Barbizon, aber auf brandenburgische Weise die »Havelländische Malerkolonie«. In Kar1 Hagemeister (1848-1933) und dem, ihm langjährig verbundenen Carl Schuch (1846-1903) darf man wohl ihre geistigen Väter sehen. Hagemeister, aus Werder (Havel) stammend, fallt hierbei die Entdeckerrolle des abgelegenen Fleckens, mitsamt seiner, das Künstlerauge erfreuenden Umgebung zu.
Der Maler über Ferch (1877): »Das Dorf war weltabgeschieden, unbekannt und wegen der Armut seiner Bewohner in verwahrlostem Zustand … Die Dorfstraße war winklig, und Backöfen, halbkugelige von Lehm, lagen unter blühenden Obstbäumen.« Nachdem der Wiener Carl Schuch Skizzen seines Freundes aus der Fercher Landschaft gesehen hatte, schrieb er an diesen: »Ich freue mich wie ein Kind auf eure märkische Ebene, so reich an wechselnden Szenen. Darin im Frühling herumzulaufen, ist herrlich.«
Sie liefen zwei Sommer – 1878 und 1881 – darin herum, mieteten ein bescheidenes Quartier, das Schuch gleich zum Motiv wählte (»Haus in Ferch«, um 1878). Die beiden Männer, denen man zeichnend, malend begegnete, erhielten rasch ihre lokale Einstufung: »Die verrückten Maler.« Sie wechselten 1880 vom Schwielowsee zum Seddiner See und nutzten in Kähnsdorf die Sommenvochen für Naturstudien – um im Folgejahr doch wieder nach Ferch zurückzukehren. »Wir gingen oft herum«, erinnert Hagemeister, »und studierten dieselben Dinge bei den verschiedenen Stimmungen … Es war diese Art das feinste Mittel, um das Auge zu bilden.« Karl Hagemeister entschloß sich, von eben diesen Stimmungen und der Motivfülle angetan, seinen Wohnung Arbeitssitz in Ferch aufzuschlagen.
Da lag bereits die künstlerische Ausbildung bei Friedrich Preller, dem Älteren an der »Freien Zeichenschule Weimar« hinter ihm. Auch die Reisegemeinschaft mit dem Freund Carl Schuch, der ihn zu den Kunststädten Europas führte. Eine verlängerte Lehrzeit, die Hagemeister letztlich in seiner Neigung für die Landschaftsmalerei bestärkte. Die Natur sei der überreiche Fundus, aus dem man schöpfen könne, hatte ihm Preller gesagt. Diese Erkenntnis machte sich der Maler zu eigen.
Stille Teiche; Ufer mit windgebogenem Schilf und aufsteigenden Wasservögeln. Seerosen, die in der Spiegelung ihr Geheimnis doppeln; Partien an der Havel. Und stets aufs neue die »Landschaft bei Ferch am Schwielowsee« – in lichten Frühlingsfarben und unterm Schnee. Er konnte, so meinte Ludwig Justi (1909 Direktor der Nationalgalerie Berlin) »ganz rasch das Gesehene in ein Gedicht von Farbe und Licht umsetzen.«
Hagemeisters Passion galt dem Wasser. Bewegtheit und Ruhe, im Wechsel beständig. Er folgte der Magie des Meeres und reiste viele Jahre zur Küstenlandschaft bei Lohme (Insel Rügen). Welle und Wind – dem Spiel vermochte er nicht zu widerstehen. So entstanden die »Wellenbilder«. In seinem Lebensrückblick schreibt Karl Hagemeister: »Bei dem einen Bild kam plötzlich eine so jroße Sturzwelle, daß ick bis am Hintern im Wasser stand und die Hälfte meiner Ölfarben mit fortjerissen wurde. Aber ick habe trotzdem weiterjemalt! Für dieses Bild bekam ich die große goldene Medaille« (XI. Internationale Kunstausstellung, München 1913).
Der Künstler war Mitglied der Berliner Secession und zeigte seine Werke auch auf ihren Ausstellungen. 1914 erhielt er die Ehrenprofessur der Akademie der Künste Berlin. Trotz seiner Zurückgezogenheit in Ferch, später in Entenfang bei Geltow und endlich bleibend in Werder, pflegte er Kontakte mit Künstlerkollegen. Max Liebermann gehörte zu ihnen, Lovis Corinth; Kunsthändler, -kritiker und -fremde. Und wer nach dem künstlerischen Credo des Malers fragt, wird die Antwort in einer seiner Äußerungen finden: »Nicht, ob eine Wolke weiß oder grau oder rosa ist, sondern daß sie fliegt, ist die Hauptsache.«
Was Hagemeister und Schuch nach Ferch zog, entdeckten auch andere. Sie kamen, sahen und … malten. Theo V. Brockhusen (1882-1919) fand sich ein; Villa-Romana-Preisträger, Künstler zwischen Im- und Expressionismus, den sie neckenderweise »Van Goghhusen« nannten, man ahnt, weshalb. Carl Goebel (1866-1936), an den Akademien München und Düsseldorf gebildet, brachte die Absicht mit, in Ferch eine Malschule mit Pension und Studiengarten einzurichten. Hans-Otto Gehrcke (1896-1988), der »Maler vom Schwielowsee«, blieb mehr als sechzig Jahre am Ort. Die »Malweiber« Hanna Schreiber de Grahl(1864-?) – sie malte gemeinsam mit Hagemeister – und Julie Wolfthorn (1868-1944 Theresienstadt!) erschienen im Dorf. Eugen Bracht (1842-1921), Lehrer der »Landschaftsklasse« an der Berliner Akademie der Künste, führte seine Schüler heraus. Karl Friedrich Schinkels Enkel Theodor (1871-1919) liebte den Schwielowsee und malte ihn in kräftigen dunkelleuchtenden Farben. Man weiß von Besuchen der Käthe Kollwitz (1867-1945) in Ferch. Die Aufgeführten sind nur wenige von vielen.
Das Malerdorf hat seinen Künstlern in der Beelitzer Straße 1 ein Musenhaus eingerichtet. Insonderheit als Jubiläumsgabe zu Karl Hagemeisters 160. Geburtsjahr. Das »Museum der Havelländischen Malerkolonie«. Hier sind sie anzutreffen mit ihren Werken, ihren Biographien, ihren Freunden, mit Zeit-Zeugnissen.
Hagemeisters »Auffliegender Fischreiher« (1888), ein Augenblick voller Bewegung – am Himmel, auf dem Wasser, im Schilf. »Weißer Mohn, Blick über den Schwielowsee« (um 1881). Die Blüten wehen, von hellem Grün getragen, vor einem Ausschnitt des Sees und den rückwärtig ziehenden Höhenrücken. Nicht die Tonigkeit sei die Hauptsache für die Bilder, äußerte der Maler in dieser Zeit: »Sondern das Licht, das ewig wechselt.«
Carl Schuchs »Bauernhaus in Ferch am Schwielowsee« (1878) hingegen lebt von dunklen, fast erdrückenden Farben, die ein kleines Gehöft, von hohen Bäumen überschattet, noch kleiner werden lassen.
Brockhusens »Blick vom Franzensberg, links Baumgartenbrücke« (1914) schwingt in Frühlingstönen, großzügig, den blühenden Bäumen huldigend. Beim Betrachten kommt mir der Spottname »Van Goghhusen« in den Sinn … Die 1909/10 erbaute Baumgartenbrücke wählte der Maler mehrfach als Motiv. Auch die unweit gelegene »Gaststätte Baumgartenbrück«, in der er logierte. »Drei Jahre verlebte ich hier die schönste Zeit …«, schrieb der Künstler 1909 in das Gästebuch. Und malte die Aussicht auf den Garten mit hellrot eingedeckten Tischen und dem Uferstreifen, mit Paaren, die den Sommertag im Schatten der Bäume genießen. »Gasthof am Schwielowsee bei Baumgartenbrück « (1914).
Es gibt ihn noch. Ich finde ihn ohne Mühe, gewiesen durch V. Brockhusens Gemälde. Die freundliche junge Dame in der Gaststube ergänzt, als ich ihr die Reproduktion des Bildes zeige, »wenn wir rosarote Decken auf die Gartentische legen, dann sieht es hier ebenso aus wie damals.«