Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 27. April 2009, Heft 9

Bemerkungen

Promipotenz

Manche Personen beiderlei Geschlechts, die nur in schmaler Öffentlichkeit agieren, aber in der breiten Öffentlichkeit erscheinen möchten, versuchen, sich diesen Wunsch zu erfüllen, indem sie die Allgemeinheit durch die Presse an ihrem Sexualleben teilnehmen lassen. Namentlich weniger bekannte Mimen, um prominent zu erscheinen, führen auf diesem Wege bundesweit ihre Stimmbänder und delikaten Körperteile gleichermaßen in die Unterhaltung ein. Eine Schauspielerin von mittlerer Güte, aber als Weib wohl anzuschauen, nicht mehr die Jüngste, hat ein Kind bekommen. Diese Meldung erweckt Aufmerksamkeit, steigert den Bekanntheitsgrad allerdings nur mäßig und vorübergehend, denn so was passiert alle Tage und allen möglichen Leuten. Deshalb wird die Wirkung dadurch verstärkt, daß die Künstlerin den Modus der Besamung ausposaunt. Es geschah bei einem One-Night-Stand. Nachdem sie die Pille abgesetzt hatte. Diese Offenbarung wird dadurch mit Neugier angereichert, daß die Dame den Namen des One-Night-Standers vorerst für sich behält und lediglich so viel verrät, daß er nur das Vergnügen, aber kein Kind wollte, außerdem verheiratet ist und nun sein Leben erst einmal ordnen muß. Für weitere Informationen sei »die Zeit noch nicht reif«. Das wird sie erst sein, wenn der Ruhm der schnellen Nummer gänzlich zu verblassen droht und mit der Preisgabe des väterlichen Namens durch einen kleinen Skandal aufgefrischt werden kann. Dann kann auch die betrogene Ehefrau in die Publicity-Veranstaltung zugunsten der Schauspielerin einbezogen werden.

Gunter Krone

Zusammengereimt

Insidern ist Walter Meier vor allem als Spitzenathlet aus frühen DDR-Tagen (Studentenweltmeister, Olympiateilnehmer 1956 in Melbourne und 1960 in Rom, DDR-Meister – alles im Zehnkampf) in Erinnerung. Später erwarb er sich den Ruf eines scharf analysierenden und treffend, gleichwohl nie ohne Witz und Ironie formulierenden Betrachters und Mitgestalters der Zeitläufte Nunmehr läßt sich Bekanntschaft mit einer weiteren Facette seiner vielseitigen Persönlichkeit machen – Meier als begnadeter Poet mit überaus spitzer Feder, die ihm dazu dient, Gott und der Welt den Spiegel vorzuhalten und sie, wo nötig, aufzuspießen.
Die jetzt vorliegende Sammlung seiner Gedanken kam dadurch zustande, daß Meier es sich seit Ende der 80er Jahre angelegen sein ließ, das jeweils scheidende Jahr mit einem satirisch-kritischen Rückblick zu bedenken. Wäre Meier bei einem der Großmeister des Metiers – Villon, Heine oder Tucholsky – in die Schule gegangen, die Lehrmeister müßten sich ihres Eleven wahrlich nicht schämen. Beim Verfassen seiner Eulenspiegeleien hatte Meier dabei durchaus nicht das breite Publikum im Blick. Er inspirierte und vergnügte damit über die Jahre vielmehr den Kreis seiner Freunde und Bekannten. Umso schöner, daß er nun deren Anregung gefolgt ist, daraus ein Brevier zu bündeln, und daß er einen mutig mitstreitenden Verleger gefunden hat. So kann die Lektüre jetzt all jenen empfohlen werden, die in den Nebeln, die Politiker, Parteien und Medien hierzulande und anderswo wabern lassen, des Pudels Kern, sprich: den klaren Durchblick suchen. Dem verleiht Meier dann auch noch auf eine so vortreffliche Weise Ausdruck, daß die lindernde Kraft des Lachens manchem zur Verzweiflung Anlaß gebenden Gea schehen die Spitze bricht.

Wolfgang Schwarz

Walter Meier: Gereimtes über Ungereimtes, 1987-2008. Sprüche und Gedichte zur Geschichte.
viademica
verlag berlin, 112 Seiten, 9, 80 Euro; ISBN 978-3-937494-46-3

Germanäsien

Im Hauptbahnhof der verfilzten Zentrale Germanäsiens stehen einige wild zurechtgemachte Gestalten; mit Pathos schreien sie ihre Parolen in die von ungerührten Besuchern der Zentrale und Handlungsreisenden gespickten Halle. Die Züge nach Germanäsien werden gesucht. Hinter den Gestalten laufe ich zum Ausgang des Bahnhofs, draußen schaue ich nach links und nach rechts; zu sehen sind in einer Reihe aufge stellte Aschebehälter, die qualmend einen giftigen Geruch verbreiten. Dahinter eine Straße, die an einen betonierten Fluß grenzt, hinter dem sich die Administrationsgebäude abzeichnen – kahl und dennoch grün. Zwischen den Kulissen schwärmen arbeitslose Grafikdesigner und junge Abenteurer auf der Suche nach der Heilerweckung im Metropolen-Kult, desgleichen suchen schwärmerische Jungglobalisierte immer lobend die germanäsische Kultur, die sich ihnen ebenso globalisiert zeigt.
In den Theaterqualm, der Aschebehälter vor dem Bahnhof treten die Gestalten aus der Halle und geben grölend Laute von sich, die ihren Forderungen Nachdruck verleihen sollen. Sie, ein Fremdkörper vom Land, laufen über eine Brücke, hinein in die Gebäudewelt der Administration, immer rufend; kaum beachtet oder abschätzig betrachtet; ihre Rufe verhallen zwischen Waschmaschine und sicherer Geldanlage. Geradeaus soll es gehen: mal taumelnd, mal drehend, mal schnurgerade, zur vergoldeten Else, der Vergangenheit auf der Fanmeile zu gedenken, alles noch einmal sehen, in der Hoffnung nochmals schöne Stunden zu verleben – die Unmöglichkeit der Wiederholung ausblendend. Ein letzter Seufzer und kehrt marsch – zum Zug nach Germanäsien.

Paul

Ein Jahrhundertleben

Klappentexte verdienen allemal ein gesundes Maß an Skepsis; daß ein Verlag sein Buch preist, ist schließlich selbstverständlich. In diesem Falle ist Hanser allerdings in keiner Weise zu widersprechen und sei hier, wo mehr Platz zur Besprechung nicht verfügbar ist, deshalb gern zitiert: »Ein großer Roman über die Menschen und die Liebe, über Geschichte und Religion: Als Jude organisierte Daniel Stein die Flucht aus einem Ghetto in Polen. Er war Dolmetscher bei der Gestapo, Partisan und Mitarbeiter des NKWD. Dreimal wurde er zum Tode verurteilt, jedes Mal überlebte er. Er konvertierte und ging nach Israel, wo er als Mönch eine Gemeinde nach Vorbild der ersten Christen gründete. Er starb bei einem Unfall, der vermutlich ein getarntes Attentat war. In dem Porträt dieses großen Idealisten spiegelt sich das ganze 20. Jahrhundert. Anhand seiner Person zeigt Ljudmila Ulitzkaja uns eine andere Welt und gibt zugleich Antworten auf brennende heutige Fragen der Vergangenheit und der Gegenwart.«
Ulitzkajas neues Buch firmiert als Roman; jenes literarische Genre, für das – um der Flut der dem Blättchen angebotenen Rezensionen ein wenig Herr zu werden – dieses Heft nur in Ausnahmefällen Raum bietet. Nicht nur, weil Ulitzkajas Buch eine Collage ist, die zu großen Teilen aus Originaldokumenten besteht, macht diese Ausnahme sozusagen zwingend, auch und vor allem deshalb, weil es für die Figur des Daniel Stein eine leibhaftige biographische Entsprechung gibt: Oswald Rufeisen, katholischer Priester und gebürtiger Jude, in Israel lebend und dort eine kleine Gemeinde um sich versammelnd, den Ulitzkaja 1992 kennenlernte und dessen nahezu unglaubliche Biographie sie nicht wieder losließ.

Heidi Jülich

Ljudmila Ulitzkaja: Daniel Stein, Roman, Carl Hanser Verlag, München 2009, 485 Seiten, 24,90 Euro

Wirsing

Im Neuen Deutschland gab es folgende Schlagzeile: »Nach dem Kanzlerinnenbesuch sind die Opelaner vorsichtig optimistisch«. Tatsächlich ist Frau Dr. Angela Merkel nicht die einzige deutsche Kanzlerin. Etliche von ihnen werden an deutschen Universitäten und Hochschulen vermutet. Preisfrage: Wie viele von ihnen haben mit Angela Merkel zusammen Rüsselsheim besucht?
Die gleiche Zeitung meldete: »Ärzte und Krankenhäuser dürfen medizinische Hilfsmittel (…) nicht mehr an Versicherte aus ihren Depots abgeben – außer im Notfall.« Interessant zu wissen, daß Ärzte und Krankenhäuser in ihren Depots Versicherte aufbewahren – wahrscheinlich zur Reserve, falls der finanzielle Notfall bei ihnen eintritt.

Fabian Ärmel