Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. März 2009 , Heft 5

Noch ein Sieg – und wir sind verloren

von Uri Avnery, Tel-Aviv

Die Ergebnisse der hiesigen Wahlen sind nicht so klar, wie sie scheinen mögen.. Der Sieg der Rechten ist so eindeutig nicht. Die Wahlkampagne war ein persönlicher Wettbewerb um das Amt des Ministerpräsidenten: Livni oder Netanyahu. Gegen alle Erwartungen und gegen alle Umfragen schlug Livni Netanyahu. Hier spielten mehrere Faktoren mit. Der größte Teil der Linken fürchtete den Sieg Netanyahus und schloß sich Livnis Lager an, um »Bibi zu stoppen«. Und Livni, die sich nie zuvor mit den Feministen identifizierte, dachte im letzten Augenblick daran, Israels Frauen unter ihr Banner zu rufen – und die erhörten ihren Ruf.

Aber es ist unmöglich, das Wesentliche dieser Wahl zu ignorieren: Netanyahu steht total gegen den Frieden, er ist absolut gegen die Rückgabe der besetzten Gebiete, er ist gegen das Einfrieren des Siedlungsbaues und gegen einen palästinensischen Staat. Livni hingegen hat mehr als einmal erklärt, sie unterstütze sehr die »Zwei-Staaten-Lösung«.

Der große Gewinner der Wahlen ist Avigdor Liberman. Allerdings ist sein Triumph weit von einem schicksalhaften Durchbruch entfernt, den viele vorausgesehen hatten. Seine Partei ist zwar tatsächlich zur drittgrößten Partei in der Knesset aufgestiegen. Aber das geschah weniger aus eigener Kraft und mehr wegen des Kollapses der Arbeitspartei, die von neunzehn auf dreizehn Sitze zurückfiel. Die wichtigste Botschaft dieser Wahlen kann jedoch nicht geleugnet werden: Die israelische Öffentlichkeit hat sich nach rechts bewegt. Der rechte Block zieht die Stimmen dreier Sektoren an: die orientalischen Juden (eine Mehrheit von ihnen wählt Likud), die Religiösen (die meistens die Fundamentalisten wählen) und die Russen (von denen die meisten Liberman wählen). Fast automatisch ist es eine Gruppenwahl. Die demographische Entwicklung ist verhängnisvoll. Kadima, Arbeitspartei und Meretz werden mit dem ursprünglich etablierten Ashkenazi-Sektor identifiziert, dessen demographisches Gewicht langsam, aber stetig schwindet. Viele ihrer jungen Ashkenazi-Wähler gaben ihre Stimmen – die mindestens vier Sitze wert sind – Liberman, der eine säkulare Form von Faschismus predigt. Sie hassen die Araber, aber auch die religiösen Juden.

Die Schlußfolgerung ist eindeutig: Wenn es der »Mitte-Links«-Formation nicht gelingt, aus ihrem elitären – ashkenazischem – Ghetto auszubrechen und Wurzeln im orientalischen und russischen Sektor zu schlagen, wird sich ihr Abstieg von Wahl zu Wahl fortsetzen.

Jetzt muß Livni zwischen zwei bitteren Optionen wählen. Option eins: Sich weigern, der Netanyahu-Koalition sich anzuschließen und in die Opposition gehen. Das ist nicht einfach. Die Kadima-Partei entstand, als Ariel Sharon ihren Mitgliedern – Flüchtige von rechts und links – versprochen hatte, sie zur Macht zu bringen. Es wird für Livni sehr mühsam sein, den Haufen in der Opposition zusammenzuhalten, weit entfernt von den Sitzen der Macht. Es würde eine rechtsorientierte Regierung herauskommen, die offen Faschisten einschließt – zum Beispiel Anhänger von Meir Kahane, Befürworter ethnischer Säuberung, der Vertreibung der arabischen Bürger Israels und der Liquidierung jeder Chance für Frieden.

Einige Leute sagen, das sei gut. Solch eine Regierung werde notwendigerweise bald scheitern. Auf diese Weise würde die Öffentlichkeit davon überzeugt werden, daß es keine lebensfähige rechtsorientierte Option gibt. Kadima, Arbeitspartei und Meretz würden in der Opposition schmoren, und vielleicht würde daraus dann eine wirkliche Mitte-Links-Alternative entstehen.

Andere meinen: Das sei ein zu großes Risiko. Die Katastrophe, die eine Netanyahu-Liberman-Kahanisten-Regierung für den Staat mit sich bringen wird, würde keine Grenzen kennen: von einer Erweiterung der Siedlungen, die jeden zukünftigen Frieden torpediert, bis zu einem regelrechten Krieg. Wir könnten nicht alles auf eine Karte setzen, wenn es um den Staat Israel geht.

Livnis zweite Option: die bittere Pille schlucken, nachzugeben und sich der Netanyahu-Regierung als zweites, drittes oder viertes Rad anzuschließen. In diesem Fall müßte sie sich allerdings schnell entscheiden, bevor Netanyahu ein Fait accompli mit einer extremrechten Koalition schafft, zu der sich anzuschließen Livni dann eingeladen würde.

Kann Israel den Kurs ändern? Kann es eine friedensorientierte Alternative geben? Die beiden Parteien der »zionistischen Linken« sind entscheidend geschlagen worden. Arbeitspartei wie Meretz sind zusammengebrochen. Ihre beiden Führer, die zum Gazakrieg aufgerufen und ihn unterstützt haben – Ehud Barak von der Arbeitspartei und Haim Oron von Meretz –, haben die Strafe erhalten, die sie reichlich verdient haben. Die Arbeitspartei ist eine wandelnde Leiche – die einzige »sozialdemokratische« Partei in der Welt, deren Führer nur ein Ziel hat: weiter Kriegsminister zu bleiben.

Einige glauben an leichte Lösungen, zum Beispiel an eine Union von Arbeitspartei und Meretz. Das wäre eine Verbindung eines Lahmen mit einem Blinden.

Doch die eigentliche Aufgabe ist bei weitem schwieriger: Eine neue Linke ist nötig, die neue Führer aus den Gruppierungen einschließt, die bisher diskriminiert wurden: die orientalischen und die russischen Juden und die Araber. Eine neue Linke, die die Ideale einer neuen Generation ausdrückt und vertritt. Die arabischen Bürger werden ihr Ghetto verlassen und anfangen müssen, mit der jüdischen Öffentlichkeit zu reden, und Juden müssen mit Arabern auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Libermans Slogan »Ohne Loyalität keine Staatbürgerschaft« muß umgedreht werden: »Ohne wirkliche Staatsbürgerschaft keine Loyalität«. Wollen wir den Staat retten, muß sehr, sehr viel verändert werden. Pyrrhus, König von Epirus: »Noch so ein Sieg, und wir sind verloren.«

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, von der Redaktion gekürzt