von Gerd Kurze
Ach gutes, altes Theater, das uns Geschichten erzählt von Liebe, Treue und Verrat, von Hoffnung, Enttäuschung und Zuversicht, von Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und leidenschaftlichem Beharren. Thomas Langhoff hat ein solches Stück Theater am Berliner Ensemble inszeniert: Federico García Lorcas »Dona Rosita oder Die Sprache der Blumen«; ganz im Vertrauen auf die Kraft seiner Schauspielerinnen und Schauspieler und die des Stücke natürlich. Es war des spanischen Dichters vorletztes und wurde im Dezember 1935 in Barcelona uraufgeführt. Sein letztes, im Frühjahr 1936 entstandenes, »Bernarda Albas Haus«, hat er selbst nicht mehr auf der Bühne erleben können – am 19. August 1936 ermordeten ihn Franco-Faschisten.
Rosita lebt bei Tante und Onkel. Gerade ist sie als junge schöne Frau erblüht, verliebt und auch verlobt. Doch diese Liebe wird sich nicht erfüllen, denn der Verlobte geht nach Argentinien zu seinem Vater. Und fünfzehn Jahre lang schreibt er Liebesbriefe, beteuert Rosita seine Treue und täuscht Heiratsabsicht vor. Schließlich aber erfährt sie, zuerst insgeheim durch eine Freundin, dann, nochmals acht Jahre später, durch sein briefliches Geständnis, er habe eine andere geheiratet.
Doch Rosita ist eine Frau schon in mittleren Jahren, als sie ihre Hoffnung endgültig enttäuscht worden ist, mit dem geliebten Mann ein erfülltes Leben führen zu können. Ja, jahrelang hat sie sich selbst hinweggetäuscht über die Vergeblichkeit ihres Beharrens, hat andere Bewerber abgewiesen, nur um an einer Illusion leidenschaftlich festhalten zu können. Der gütige Onkel, in dessen Haus die Waise einst Aufnahme gefunden hatte, ist inzwischen gestorben, die liebevolle Tante, die sie umsorgende Haushälterin, sie beklagen ihr Schicksal, doch nichts kann ein Ende ohne Trost und Erfüllung mehr abwenden.
Das ist eine Geschichte für Schauspielerinnen: Allen voran, wie jetzt nahezu immer im BE, Carmen-Maja Antoni: bodenständige Magd, alle Konvention in Frage stellend und doch nicht frei von ihr, der komödiantische Motor des Abends. Im Gegenspiel Jutta Wachowiak: als Gattin mit Grandezza ihrem Mann, dem rosenzüchtenden Privatier, verhaftet, auch sie vor allem der Konvention, bis ihr als Greisin im Elend allen verlorenen Guts und angesichts des Unglücks der Nichte schließlich »auch mal der Kragen platzt«. Jürgen Holtz ist der Onkel, ein herzensguter, poesie- und ahnungsvoller Mensch, der früh schon als Lebensparabel Rosita seine Rosa Mutabilis vor Augen führt: morgens blutrot, mittags im Sonnenlicht erglühend wie Korallen, im Abendwind, am Saum des Tages dann, schneeweiß.
»Die alten Garde«, Antoni, Wachowiak, Holtz, zu erleben, das ist wahrlich eine Wonne – keckes Aufbegehren der Magd, Zurückhaltung und Ausbruch der Tante, vermeintliche Lebensab- und doch -hinwendung des Onkels. Irgendwie scheint Ursina Lardi als Darstellerin der Rosita mit den Jahren (des Stückes) immer besser zu werden. Vielleicht lassen sich Erfahrung, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit einfach eindrucksvoller darstellen. Doch »die Alten« spielen in einer anderen Liga. Der Blättchen-Kritiker empfand das zumindest so, vielleicht liegt die Wahrheit, wie so oft, jedoch im Auge des Betrachters. Jedenfalls: Als die Wachowiak zum Namenstag der Nichte neben den Hupfdohlen-Darbietungen ihrer jungen Kolleginnen ihre Tante temperamentvoll tanzen ließ, konnte man das sehen. Langhoff hat sie alle machen lassen, sicher voller Vertrauen, womöglich mit etwas Resignation.
Ein großer Kollege aus Langhoffs Zeit in der Schumannstraße, Eberhard Esche, wurde vor seinem Tode nicht müde zu wiederholen, daß das Theater heute tot sei – an diesem Abend im Theater am Schiffbauerdamm konnte man sehen: noch nicht ganz!
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