Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 16. Februar 2009 , Heft 4

Vom Kritiker und dem Tausendschönchen

von Martin Nicklaus

Wer ein wenig über das Fernsehen nachdenkt, stößt unweigerlich auf jenes Ereignis 2008, bei dem ein aus dem Fernsehen bekannter Kritiker ob seiner Fernsehleistungen von Fernsehgewaltigen zu einer Fernsehgala geladen ward, um dort einen Fernsehpreis zu erhalten, sich aber vor das aus dem Fernsehen bekannte Publikum stellte und erklärte, Fernsehen sei Blödsinn, was die Fernsehmacher brav beklatschten, woraufhin er dem Tausendschönchen des Fernsehens das »Du« anbot und dieses ihm wiederum eine Fernsehsendung zur Fernsehkritik, woraufhin beide uns eines Fernsehabends, Fernsehkritik vorgaukelnd, an die Hand nahmen, über Allgemeinplätze spazierten, Brecht, Schiller, Fontane und Shakespeare erwähnend, wo wir doch, wenn schon keine Zitate der zum Thema passenden Herren Luhmann, Virilio, Marshall McLuhan, Chomsky, Postmann mindestens welche aus Pierre Bourdieus Buch »Über das Fernsehen« erwartet hätten und mit einigem Befremden bemerken mußten, wie unsere Wegbegleiter, die Gelegenheit nutzend, sich vor laufender Kamera ungeniert im eigenen Gesülze suhlten, wobei Kritikers einzige intellektuelle Leistung darin bestand, Helge Schneider, was der wahrlich nicht verdient, mit Atze Schröder zu verwechseln, somit er und Tausendschönchen »weder geistreich noch unterhaltsam«, wie die Frankfurter Rundschau titelte, ein Beispiel für Blödsinn im Fernsehen ablieferten.

Dabei saß mit Tausendschönchen dem Kritiker ein erster Adressat für Kritik direkt gegenüber, dem er hätte erklären müssen, ohne dabei auf ein tieferes Verständnis beim Angesprochenen hoffen zu dürfen, welch Rassismus darin steckt, einen jungen Musiker, der sich während der Sendung in zarter Geste, schüchtern einer von ihm hochverehrten Schauspielerin nähert, ob seiner Dreadlocks als »Wischmop« zu bezeichnen.

Kritiker hätte, beschränkt auf die – einzig zivilisatorischen Regeln unterworfenen – öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, reden können über Kerner, jene sich tapfer Journalist nennende, jedoch ganz der Industrie verpflichtete, investigative und intellektuelle Anstrengung meidende Klatschbase, die nur Beckmann übertrifft, der, im Gespann mit Nina Ruge, scharf Norbert Blüm in Sachen Rente anging, dabei aber unerwähnt ließ, daß er und sie als bezahltes Reklamemännchen der Versicherungsindustrie rumirrlichtern, wie wiederum in zahllosen Sendungen dem Zuschauer »Mietmäuler« und Interessenvertreter als Experten vorgestellt werden.

Kritiker hätte über den Opportunismus der Frau Illner sprechen können, deren Wirtschaftsfreundlichkeit soweit ging, in einer Sendung zur Spitzelaffäre der Telekom den Namen ihres Lebenspartners, des Chefs eben dieses Konzerns, unerwähnt zu lassen.

Kritiker hätte sich auf ein halbstündiges Putin-Interview beziehen können, von dem das wohlbehütete Publikum gerade nur jene zehn Minuten serviert bekam, die in das ansonsten vermittelte Fernsehweltbild paßten und Passagen ausließ, in denen sich der stellvertretende Zar kritisch über den Westen äußerte und einige dem Hauptnachrichtenstrom zuwiderlaufende Informationen zum Kaukasuskrieg lieferte.

Kritiker hätte die der neoliberalen Propaganda verpflichtete, beständig Bourdieus Axiom, »Fernsehen berichte nicht über die Realität, sondern erschaffe sie«, bestätigende Schwafelrunde Presseclub besprechen können, welche Zuschauer bestenfalls in Erinnerung an Wilhelm Buschs Bonmont: »Die gute Unterhaltung besteht nicht darin, etwas Gescheites zu sagen, sondern etwas Dummes anhören zu können«, ertragen, wobei sich ob fast vollständiger Ignoranz der zu den diskutierten Themen gehörigen Fakten einige Leute kritisch im Internetgästebuch zu Wort meldeten, worauf dieses erst geschlossen wurde und nun, nach Wiedereröffnung, einer Zensur unterliegt.

Aber Quote, wirft da sicher das Tausendschönchen ein.Was Kritiker sofort verwerfen müßte, da diese bloß 0,02 Prozent der Zuschauermeinungen abbildet und lediglich »Marketinginstrument« (Bourdieu) der den Verstand aus niederem Beweggrund unterwandernen Werbeindustrie sei, die aufgrund des Bildungsauftrags prinzipiell von Fernsehauftritten auszuschließen wäre und außerdem Helmut Thoma die heute relevante Zielgruppe schlicht erfand, um RTL zu etablieren, inklusive dem bohlenhaften Klum-Fernsehen, wo Bauern Frauen suchen, die sie anderswo tauschen, wenn diese nicht gerade »just 4 girls« sind, im Dschungel Tierhoden essen oder bei Geissen nachfragen, wer wohl der Vater ihrer Kinder sei, was recht bunt und hohl daherkommt, unter der Oberfläche jedoch, sozusagen im Subtext, jedem Nachdenklichen ein reiches soziologisches Feld eröffnet, aus dem der Zustand der Gesellschaft deutlicher wird als aus allem, was sogenannte Nachrichtensendungen zeigen.

In diesem Sinne wäre auch Tausendschönchens Sendung mit dem Kritiker, der seinen Fernsehgalaauftritt als Reklame für eine TELEKOM-Tochter versilberte, zu sehen, in der ernsthafte Kritik ausblieb, da sie lediglich an ein unterbewußtes Gefühl der kulturellen Überlegenheit appellierte, davon abhaltend Elementares zu diskutieren, zum Beispiel Küppersbuschs Ausspruch: »In den Sendern hat sich der Neoliberalismus verfestigt«, was wenig wundert, da Fernsehen nach Bourdieu ein »Instrument zur Aufrechterhaltung der symbolischen Ordnung«, der sowohl Tausendschönchen und Kritiker verhaften sind, darstellt, die einen hohen Bedarf an Flachsinn und Berieselung erzeugt, jenes Tittytainment, das die Massen vom Nachdenken ab- und einigermaßen bei Laune hält.

Beide lieferten das Tittytainment fürs vermeintliche Bildungsbürgertum, das sich einbildet, es wäre bereits eine intellektuelle Bereicherung, jemandem zuzuhören, der humorlos, Gomez-Davilas Aphorismus »die schlechte Laune ist der Vater der Literaturkritik« auslebend, dogmatisch, peitschenden Fingers, seine Ansichten dem Publikum aufdrängt, und das angewidert tut, wenn Leute Kakerlaken essen, aber den von Politsendungen servierten Unsinn anstandslos schlucken. Eines gerät dabei ganz aus dem Blick: Fernsehen kann man abschalten. Außer, wenn gerade Neues aus der Anstalt läuft.