Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. Februar 2009 , Heft 3

Volltreffer

von Wladislaw Hedeler

Auf der Titelseite der neuesten Ausgabe des »Pflichtblattes der Wertpapierbörse« Wirtschaftswoche durchbricht ein »Trabant« die Mauer in Richtung DDR. Der Chefredakteur kommentiert den »freiwilligen Weg in die Knechtschaft«. Unter der Rubrik »Überblick« werden wie üblich mehrere Artikel beworben. Darunter einer zum Thema »Staatswirtschaft«. Die Fotomontage zeigt einen gigantischen Marxkopf, der über der Skyline von Frankfurt am Main schwebt – die Metropole im Dunst der DDR. Da ein Bekannter von mir derartiges sammelt (er berichtete im Blättchen darüber), griff ich zu, um nachzusehen, ob noch weitere Montagen oder Karikaturen enthalten sind. Bis zur Abfahrt der U-Bahn ist noch Zeit genug, dachte ich. Und da passierte es. Kaum hatte ich das Magazin aus dem Regal genommen, flatterte irgendetwas zu Boden. Ein Prospekt für Schrankwände.

Die Kioskverkäuferin freute sich: »Nun wirste det wohl koofen müssen. Macht dreineunzich.« In Berlin hatte Tauwetter eingesetzt, der Bahnsteig sah dementsprechend aus. Den Prospekt konnte ich nur noch entsorgen. Es war wohl ein Zufall, daß die andere Werbebeilage, ein gefaltetes Werbeposter einer Kelterei, noch zwischen den Seiten 22 und 23 klemmte. Beim Blättern klappte das Magazin an dieser Stelle von selbst auf. »Die Rettungsaktionen der Regierung drohen eine Interventionsspirale auszulösen, die in den Sozialismus führt.« Für diese Botschaft brauchte ich keine Lesebrille.

Die U-Bahn war inzwischen weg und ich um 3,90 Euro ärmer. Nächsten Monat fahre ich wieder mit dem Fahrrad zur Arbeit, dachte ich. Ich hab’s ja nicht weit, zwei Stationen nur, zum Lesen ist die Zeit viel zu kurz. Doch für Fahrgäste wie mich gibt es in den Wagen der U-Bahn die »Berliner Fenster«. So erfuhr ich von den Sorgen des Chefs der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und der Trauerfeier für Adolf Merckle, der unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt worden ist. In meiner Ausgabe der Wirtschaftswoche stand darüber nichts.

Bevor ich in den bereitgestellten Zug einstieg, nahm ich das zweite Werbeblatt heraus. Als die Bahn anfuhr, begann ich zu blättern. Es war eine rote Bildunterschrift, die meine Aufmerksamkeit weckte. Sie lautete: »DDR-Imbiß«. Auf dem Foto waren zwei Trabbis und eine MZ zu sehen, die in einer Parktasche am Straßenrand eines Berliner Neubaugebietes standen. Verschachtelte Elfgeschosser, ein Kinderspielplatz. Dahinter, fast verdeckt, eine Bude, auf deren Dach, flankiert von Schmuckelementen, »Volltreffer« zu lesen ist.

An der flammend roten Rückwand sind zu Pyramiden gestapelte Büchsen zu erkennen. Auf dem Schild darüber steht »geradeaus werfen«. Am Tresen einige Kinder und Jugendliche. Wer einmal auf einem Rummel gewesen ist, wird sich vielleicht noch an derartige Attraktionen erinnern können. Irgendeine der zerbeulten Büchsen blieb immer auf dem Brett liegen. Es gehörte viel Glück dazu, die Dinger mit den drei Wurfbällen aus Stoff abzuräumen. Die Preise – in diesem Falle Plüschtiere – waren ungenießbar. Zuckerwatte oder Bratwurst wurde an diesen Buden nicht verkauft.

Für den Artikel haben 8 (in Worten: acht) Journalisten des »Hauptstadtbüros« der Wirtschaftswoche recherchiert. Irgendeiner von ihnen wird für diese Schlamperei verantwortlich sein. Aber auch wer an Horrorszenarien à la Christian von Ditfurth bastelt (Die Mauer steht am Rhein – Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus, Kiepenheuer & Witsch), sollte genauer hinsehen. Sonst kommt dabei nur eine Lachnummer heraus.