Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 16. Februar 2009 , Heft 4

Mit Schulden Macht erzeugen

von F.-B. Habel

Die Illusionsbildung, die zum Kino zwingend dazugehört,
zieht uns alle magisch an. Das ist eine Droge. Diese Entführung
in eine verzauberte Parallelwelt – das ist die Essenz des Kinos.

Tom Tykwer

Die 59. Berlinale hatte in diesem Jahr wieder einige Weltpremieren zu bieten. Bei Redaktionsschluß begann sie erst, aber speziell einige deutsche Filme waren schon zu besichtigen, und von denen einige zwischen Parallel- und echter Welt changieren.

Dazu zählte der Eröffnungsfilm von Tom Tykwer, den er mit internationaler Besetzung in Babelsberg und an Originalschauplätzen gedreht hatte. »The International« verweist auf die global agierenden Bankenkonsortien, denen zur Sicherung ihrer Dividende jedes Mittel recht ist. Ein Interpol-Agent und eine New Yorker Staatsanwältin, gespielt von Clive Owen und Naomi Watts, ermitteln gegen eine der mächtigsten Banken der Welt. Diese ist in die Finanzierung weltweiter terroristischer Anschläge verwickelt. Doch es gibt Informanten, die aus diesem System aussteigen wollen. Für sie ist das lebensgefährlich.

»Je größer das Geschäft, desto skrupelloser wird es von den Kartellen verteidigt und beschützt. Daß man auch mal einen Bürgerkrieg anzettelt, ja buchstäblich befeuert und anheizt, indem man eine Seite quasi zum Discountpreis mit Waffen ausstattet, um zu sehen, ob nicht langfristig größere Rüstungsdeals aus dem Krisenherd erwachsen können, das ist kein Hirngespinst«, erklärte Regisseur Tom Tykwer im Interview. Der Action-Film transportiert durchaus die gefährliche Philosophie der Banker, nach der Macht dadurch erlangt wird, daß Organisationen, Staaten, Menschen durch Schulden in Abhängigkeit gebracht werden. Tykwer gelingt es bestens, Spannung zu erzeugen. Die Vorbereitung eines Attentats in Mailand ist gut bei italienischen Vorbildern abgeguckt, der Showdown, der in ein Massaker im New Yorker Guggenheim-Museum ausartet, reizt zum Schmunzeln, weil man bemerkt, mit welcher Leidenschaft die Filmemacher ihrem Affen Zucker gegeben haben. Auch Kundschafter Achim Deetjen alias Armin Mueller-Stahl ist dabei, der sich hier Vorwürfe machen lassen muß, nach 1990 als einstiger Kommunist die Seiten gewechselt zu haben. Doch auch der zwielichtige Held erweist sich letztlich als Mann mit Gewissen.

Ums Gewissen geht es auch in der anderen internationalen Produktion mit deutschem Hintergrund. Bernhard Schlinks Roman »Der Vorleser« wurde in Babelsberg und Görlitz von dem britischen Regisseur Stephen Daldry (»Billy Elliot«) in Szene gesetzt. Als Zeuge bei einem Prozeß in den sechziger Jahren muß ein Jura-Student feststellen, daß die Frau, die er als Straßenbahnschaffnerin kennenlernte und mit der er als 15jähriger die Liebe entdeckte, als Wärterin im Konzentrationslager Auschwitz am Tod hunderter Menschen mitschuldig ist. Er bleibt für Jahrzehnte zwischen der Erinnerung an die erste Liebe und dem Unverständnis für das Handeln seiner einstigen Geliebten gefangen.

Stärker noch als in Schlinks kontrovers aufgenommener Buchvorlage hat Drehbuchautor David Hare den Konflikt ins Private gleiten lassen. Der Besuch des Protagonisten in Auschwitz bleibt in Daldrys Inszenierung eindrucks- und folgenlos. So bleibt nichts als ein Psychodrama, von Kate Winslett und Ralph Fiennes, besonders aber von dem 18jährigen »Krabat«-Star David Kross eindrucksvoll gespielt.

Pure Wirklichkeit hingegen bot Thomas Heise mit einem langen Dokumentarfilm im »Forum«, der lange abgelagertes »Material« – so der Titel – auf die Leinwand bringt. Heise hat es seit 1988 gedreht und setzt es jetzt dem Zuschauer weitgehend kommentarlos vor. Aus den Beobachtungen kann sich der Betrachter jedoch mit dem Abstand der Jahre seinen eigenen Reim darauf machen. »Man kann sich die Geschichte länglich vorstellen – sie ist aber ein Haufen«, kommentiert der Regisseur seine Intention.

Heises Beobachtungen von Regisseur Fritz Marquardt bei den Proben zu Müllers »Germania Tod in Berlin« werden von Bildern der Massendemonstration vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz abgelöst. Häftlinge und Aufseher im Brandenburger Gefängnis sprechen offen über ihre Gefühle während der politischen Wende. Achtzehn Jahre später kehrt Heise noch einmal dorthin zurück. Viel hat sich geändert. Mit diesem Restmaterial – wenn es auch Längen hat – hat der Regisseur, dem in den achtziger Jahren an der Babelsberger Filmhochschule das Diplom verweigert wurde, einen nachdenklichen Beitrag zu den bevorstehenden Jubel-Feiern geleistet.