Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. Februar 2009 , Heft 3

Kriegsfolgen

von Erhard Crome

Als am 20. Januar der UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon in Gaza war, wurden 1300 tote Palästinenser gezählt. In Israel wurden 13 Tote beklagt. Das macht einen Unterschied von Einhundert zu Eins. In den Medien wird beteuert, jeder Tote sei einer zuviel. In bezug auf die Resultate der Kriegsführung ist der Unterschied dennoch von Bedeutung. So etwas nennt man einen »asymmetrischen Krieg«.

Im deutschen Fernsehen sollte dieser Krieg am 11. Januar bei Anne Will debattiert werden. Angekündigt waren Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, der wegen israelkritischer Äußerungen von seiner Regierung 1999 abberufen worden war, der Dirigent Daniel Barenboim, der beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker für den Frieden gesprochen hatte, Joseph Fischer, ein früherer deutscher Außenminister, sowie Sumaya Farhat-Naser, palästinensische Schriftstellerin und Friedensaktivistin. Auf medienfreundlichen Webseiten wünschte man sich schon interessante Aufschlüsse. Immerhin ging es um einen Krieg, den auch die deutsche Öffentlichkeit verstehen können sollte.

Die erstaunten Fernsehzuschauer erlebten dann jedoch eine Debatte um ein imaginiertes Recht auf den Freitod. Daran nahmen eine blasse grüne Bundestagsvizepräsidentin teil, wahrscheinlich damit die Grüne Partei ob der Ausladung Fischers nicht nörgelt, ein katholischer Bischof, der noch für jeden Skandal gut ist, ein abgeschriebener Alt-Publizist und ein ehemaliger CDU-Senator aus Hamburg, der jetzt als noch nicht approbierter »Sterbehelfer« zu praktizieren versucht.

Im Internet kursierte daraufhin ein Protestbrief des emeritierten Politikprofessors Mohssen Massarat, in dem dieser öffentlich zu vermuten versuchte, ein »langer Arm Israels« sei im Spiele gewesen, und dies sei ein »harter Schlag gegen die Pressefreiheit und die Demokratie in Deutschland«: lauter willfährige Helfer des Krieges. Das wollten nun wiederum weder Anne Will noch die ARD auf sich sitzen lassen und erklärten etwas. Ein Zuständiger verbreitete eine Erklärung, in der es zunächst hieß, es sei ein ganz normales Verfahren, daß eine Redaktion zeitgleich mehrere Themen vorbereite. Da werden also ein weltberühmter Dirigent, ein ehemaliger Außenminister, ein bekannter früherer Spitzendiplomat und eine ebenfalls bekannte Frau aus Palästina zusammengetrommelt, um ihnen zu sagen: »Ätsch, ihr kommt nicht auf unsere Mattscheibe«? Und das sollen alle glauben, zumal dann zweitrangige Leute ein drittrangiges Thema beschwatzen? Eine Einflußnahme von außen wird ausdrücklich bestritten. Im übrigen habe man sich aus Anlaß der Selbsttötung des Unternehmers Adolf Merckle (der – zur Erinnerung – sein milliardenschweres Familienvermögen an der Börse hemmungslos verzockt hatte; also ein Täter der Finanzkrise, der durch sein eigenes Tun zum Opfer wurde, was er als Kapital-Macho nicht aushalten wollte und sein Leben also beendete) für »das Freitod-Thema« entschieden, weil es »die größere Relevanz für die Menschen in unserem Land« habe.

Ach, hätten sie doch geschwiegen! Auch auf die Gefahr hin, die Vermutung wäre stehengeblieben, es hätte der israelische Botschafter den Herrn Außenminister oder wen auch immer angerufen, und … Nein! Sie dementieren das. Und mit welchem Argument? Ein toter Deutscher ist wichtiger als dreizehn tote Juden und 1300 tote Araber! Das ergibt sozusagen eine Herrenmenschenhierarchie als konstitutive Voraussetzung des deutschen Medienwesens.

Das sei eine falsche Perspektive? Die entscheidenden Damen und Herren hätten am 11. Januar nicht wissen können, wieviele Tote im Gaza-Streifen und in Israel am 20. gezählt werden? Weit gefehlt! Alle wußten, was ein solcher Krieg anrichtet und wie ein »asymmetrischer Krieg« im 21. Jahrhundert funktioniert. Herfried Münkler, der Lieblings-Stichwortgeber aller deutschen Bellizisten, schrieb lange vor dem jetzigen Nahost-Krieg, die waffentechnische Entwicklung habe dazu geführt, daß es eine sichtliche »Ungleichverteilung von Töten und Sterben« gebe. »Der Pilot eines Kampfbombers oder die Besatzung eines Kriegsschiffs, von dem aus Tomahawk-Raketen abgefeuert werden, befinden sich außerhalb der Reichweite gegnerischer Waffen. Der Krieg hat hier alle Charakteristika der klassischen Duellsituation verloren und sich, zynisch gesagt, gewissen Formen von Schädlingsbekämpfung angenähert.«

Die israelische Armee hat also jetzt drei Wochen lang »Schädlingsbekämpfung« betrieben, und die deutschen Entscheidungsträger und Medienmacher möchten dem gern zur Seite stehen. Solche Kriege haben auch die USA in Irak und Afghanistan geführt und Rußland in Tschetschenien sowie die Türkei in Kurdistan. Frankreich hatte mal angedroht, den Iran in Schutt und Asche zu legen. Im Grunde können alle Staaten, die über derartige militärische Kapazitäten verfügen, jeden Staat, der nicht darüber verfügt, in den Zustand bomben, der jetzt in Gaza zu besichtigen ist. Vielleicht kann Deutschland die Steuerschlupflöcher in Liechtenstein eines Tages auch so stopfen.

Das hat – neben der militärischen Seite – immer zwei Voraussetzungen: Die Staaten der Welt lassen den »Schädlingsbekämpfer« agieren, und die Herren (und Herrinnen) über die Medien verhindern eine kritische Debatte. Dann reden wir doch lieber über den »Freitod« des Herrn Merckle und die Bedingungen, unter denen der »Sterbehelfer« seinen Gewerbeschein erhält. Der Bomberpilot hat ihn nämlich schon.