Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 16. Februar 2009 , Heft 4

In Sophie Charlottes Salon

von Renate Hoffmann

Vom werbenden Plakat schaut die »philosophische Königin«, wie Friedrich Wilhelm Weidemann sie zwischen 1702 und 1705 malte. Eine üppige, schöne Frau mit »großen sanften Augen«, mit klugen Augen wäre zu ergänzen. Auf der offenen Stirn ringelt sich, wie zufällig, eine Locke. Sie habe »eine wunderbare Fülle schwarzen Haars, einen Mund von Incarnat … und einen lebhaften Teint«, so urteilt der Zeitgeist.

Zur persönlichen Zierde dieser weltgewandten Dame (1668–1705) gehörte ihre Wißbegier. In Berlin, insbesondere im Sommerschloß Lietzenburg (nach ihrem Tod in »Charlottenburg« umbenannt) scharte sie Künstler und Gelehrte um sich; brachte Gottfried Wilhelm Leibniz an den Hof. Gemeinsam mit ihm überzeugte sie Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (ab 1701 erster König in Preußen) von der Einrichtung einer Wissenschaftspflegstätte. Die Gründung der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften, in der Geistes- und Naturwissenschaften gleichermaßen Platz fanden, geschah im Jahre 1700. Ihr Präsident hieß Leibniz.

Löblich und angebracht richtete die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2006 der geistvollen Frau ihren Zirkel ein. Man diskutiert, themenbezogen, regt an; hier werden mit Lust und Nutzen neue Kenntnisse und Erkenntnisse gesammelt und weitergegeben.

Im Januar 2009 lud der »Salon Sophie Charlotte« zum vierten Male Gäste ins Haus. Das abendliche Motto, welches in beeindruckender Vielfalt ausgespielt wurde, lautete: »Die Evolution empfängt ihre Kinder.« Das geschickte Wortspiel versteht sich zugleich als eine Würdigung des Jubilars Charles Darwin.

Der Akademiepräsident Günter Stock eröffnet den aufregenden Abend, an dem sich Wissenschaft und Kunst begegnen sollen. Welches zukunftsträchtige Ansinnen. Berührung und Durchdringung beider erschließt neue Sichtweiten. Phantasie und diszipliniertes Denken sind hier wie dort gefragt. Der »Salon« bietet Kontakte mit der Evolutionstheorie und ihren Prozessen in Natur, Technik und Kultur. So weitgreifend wird das Thema behandelt – und informativ, unterhaltsam, verständlich angeboten. Letzteres stellt eine Kunst dar. Darin hatte die Akademie in einem ihrer Mitglieder – Albert Einstein – ein glänzendes Vorbild (Einstein formulierte in einer Schrift die Grundzüge der Speziellen Relativitätstheorie so einleuchtend, daß man sich fragt, weshalb einem dieses Licht nicht selber aufgegangen ist).

Die Neugierigen drängen sich im Akademiegebäude am Berliner Gendarmenmarkt. Man hat die Qual der Wahl zwischen »Literarischem Salon« mit Lesungen und Musik im Leibniz-Saal, dem »Wissenschaftlichen Salon«, der im Einstein-Saal mit Vorträgen und musikalischen Intermezzi aufwartet – die Podiumsdiskussion »Evolution sexueller Untreue« erhält regen Zulauf. Der »Ernst-Mayr-Salon«, dem »Darwin des 20. Jahrhunderts« gewidmet, zeigt Originalpräparate und Dokumente der Neuguinea-Expedition 1928/29 und ergänzt die Schau mit Film und Vorträgen – exklusiv pfeift zu jeder vollen Stunde der Rote Paradiesvogel. Ich verpaßte den seltenen Pfiff, abgelenkt durch das übrige verführende Programm-Angebot.

Der »Salon Akademieforschung« wirbt ebenfalls mit Film und Vorträgen. Referiert wird auch über das Thema: »Darwin und Humboldt oder: Von der Sehnsucht nach ›duftiger Ferne‹ und der Wanderung der Pflanzen.« Wer kann da widerstehen?

Stufe um Stufe betrachte ich im Treppenhaus die Exponate eines Fotowettbewerbs, der unter der Maßgabe »Evolution im Augenblick« ausgeschrieben war. In Erinnerung bleibt mir eine Aufnahme, der ich den ersten Preis gegönnt hätte, den sie aber nicht erhielt: Eine Straßenlaterne mit offener Scheibe, in die ein Vogel sein Nest gebaut hatte; Technik und Natur – Witz und Poesie.

Im »Jugendsalon« und im »Kindersalon« kommen die jüngeren Besucher auf ihre Kosten. »Mitmach«- und »Animationsfilm-Workshops«; von der »Evolution der Naslinge (ausgestorbene Säugetierordnung, verwandt mit Christian Morgensterns »Nasobem«) auf einer geheimnisvollen Insel« wird erzählt und aus Rudyard Kiplings »Geschichten für den allerliebsten Liebling« vorgelesen, wie es sich mit der »Entstehung der Gürteltiere« verhält.

An alles ist gedacht: Durch die Räume zieht der appetitmachende Geruch nach Würstchen, Suppe und Kartoffelsalat.

Spät am Abend verlasse ich das Haus des Wissens. Bereichert, angeregt und die Frage im Kopf: Verfüge ich nun über »einen freien Willen, oder werde ich von egoistischen Genen gesteuert«?