Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 2. Februar 2009 , Heft 3

Buchtaufe in Marienbad

von Renate und Peter Uhrbach

Haben Sie schon einmal die Taufe eines Buches erlebt? Da stehen an die hundert Menschen am 16. Dezember 2008 im großen Ausstellungsraum des Marienbader Städtischen Museums und beobachten nach einer musikalischen Einleitung, wie eine junge Frau – es ist Dagmar Ernstová – ein Buch wie ein Tablett vor sich hertragend, mit einem kostbaren Kristallkelch darauf, sich einer Gruppe von drei Bürgermeistern nähert. Einer von ihnen, der Vorgesetzte, ergreift den Kelch und läßt ein paar Tropfen auf das Buch träufeln. Beifall. Wasser? Kein gewöhnliches, es ist Marienbader Kreuzbrunnen. Der Kreuzbrunnen ist via Goethe in die Weltliteratur eingegangen. Das Buch, es ist die »Chronik des Kurortes Marienbad 1786–1855« des Johann Nepomuk Felbinger, erscheint mit dieser Taufe 153 Jahre nach seinem Tod im zu Ende gehenden 200. Jahr des Kurortes. Nach eineinhalb Jahren Arbeit daran. Das Besondere dieses Werkes im noch handlichen Großformat mit 280 Seiten und 137 von Felbinger gezeichneten Abbildungen: Es ist in allen seinen Texten zweisprachig: Die Beteiligten verstehen es als eine Geste der Versöhnung. Es ist eine weitere, denn ein paar Schritte vom Taufsaal entfernt, vor dem Museum, steht das bronzene Goethe-Denkmal, von einstigen deutschen Einwohnern Marienbads beziehungsweise ihren Nachfahren, der Partnerstadt Bad Homburg und dem Freistaat Bayern finanziert, vom Marienbader Bildhauer Vítezslav Eibl geschaffen und am 18. September 1993 auf dem Goethovo námestí eingeweiht.

Felbinger, »Kassierer« (Buchhalter, Steuereintreiber) des Stiftes Tepl, verrät uns, wie die Chronik entstanden ist: »Wir waren unsere Sechse, Ich, die Brillen, Papier, Bleistift, Lineal und Dinten (Tinte), mit vielem Nachdenken haben wir das Möglichste gethan. Felbinger hofft: In Fünfzig Jahren können die Menschen, die solches Lesen, und Manches denken daran.«

Das Manuskript, zuerst Wort für Wort von Michaela Bäumlová aus der Sütterlin in lesbare deutsche Worte transliteriert, dann von uns in ein zeitgemäßes Deutsch gebracht, wobei Felbingers Ausdrucksweise und Wortwahl weitgehend verwendet sind, und auf dieser Grundlage dann von Dagmar Ernstová und Tomás Rataj ins Tschechische übersetzt – letzterer bewerkstelligte die sprachliche Redaktion, den Satz, die graphische Bearbeitung und den dem Original nachempfundenen Umschlag –, hat ein wechselvolles Schicksal bis zur Herausgabe durch den Prager Verlag Skriptorium und das Museum der Stadt Marienbad mit seinem Direktor Jaromir Bartos.

Nach den Wirren des Kriegsendes war die Chronik verlorengegangen und in Vergessenheit geraten. Später war sie an den Ingenieur Richard Svandrlik geraten, der seinen Fund so beschreibt: »1973 tauchte bei mir unerwartet Felbingers Chronik auf, die mir zwei Jungen in das Balneologische Forschungsinstitut mit einem Kaufangebot überbrachten. Ich hielt das Buch zunächst für eine perfekte Fälschung, aber bald wurde mir klar, daß ich das Original in Händen hielt. Ich lehnte weitere Verhandlungen ab, und da ich die Jungen nicht verschrecken wollte, versprach ich, daß wir uns über den Kauf einig werden würden. Ich wandte mich sofort an den Museumsdirektor Ota Pavelka, der mich aber an die Archivbehörden verwies. Danach wandte ich mich an den damaligen Bürgermeister Ing. Jan Príhoda, damit er eine Rettung der Chronik auf welche Art auch immer versuchte (auch durch deren Kauf). Leider lehnten beide jede Hilfe ab und wollten die Sache der Polizei melden, da es sich vermutlich um ein nach dem Krieg gestohlenes Objekt handelte. So geriet die Chronik in die Gefahr, von ihrem unbekannten Besitzer aus Angst vor einer polizeilichen Untersuchung lieber verbrannt zu werden. Zum Glück konnte die Chronik dann aber auf Initiative von Herrn Svatopluk Schlossar, damals Helfer im Museum von Eger, und der Direktorin des Museums von Eger, Katerina Iterská, für dieses Museum erworben werden. Beide verstanden den Wert der Chronik für die Geschichte der Stadt, und seit dieser Zeit ist das Museum von Eger Eigentümer der Chronik. Es handelt sich um das Original der Chronik, das von finanziell unschätzbarem Wert ist. Das damalige unerwartete Desinteresse des Bürgermeisters und des Museums haben mich sehr enttäuscht.« Ing. Richard Svandrlik fertigte 1974 eine erste vorläufige Übersetzung der Chronik in fünf Exemplaren mit einigen eigenhändig angefertigten Zeichnungen nach Felbingers Vorlagen an. Kurze Passagen publiziert er in dem heimatkundlichen Periodikum Hamelika und auf seinen Internetseiten. Die restaurierte Handschrift der ersten Version der Chronik befindet sich heute unter der Signatur MS21 in der Bibliothek des Museums von Eger.

Die Chronik ist mittels der akribisch recherchierten Fußnoten bis in die Gegenwart geführt. Wer mit dem Buch in der Hand heute durch den Kurort geht, kann das Schicksal der prächtigen Häuser nachvollziehen. Wer die Chronik liest, wird an vielen Stellen ein Schmunzeln nicht unterdrücken können. Und wer gar »abonnierter« Kurgast ist, wird sich nach der Lektüre mit dem Ort und seiner Geschichte noch mehr verbunden fühlen.