Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 19. Januar 2009 , Heft 2

Paul Klee – der petit-maitre des Universalismus

von Klaus Hammer

Im Rahmen des gigantischen Ausstellungszyklus’ »Der Kult des Künstlers« zeigt die Neue Nationalgalerie unter dem Titel »Das Universum Klee« mit etwa 250 Werken eine der umfassendsten Klee-Präsentationen der letzten Zeit. Sie ist eine Hommage an den Sammler Heinz Berggruen, der bereits 1955 in seiner Pariser Galerie eine Ausstellung »L’univers de Klee« veranstaltete.

Klee neigte dazu, die Welt als Modell zu sehen, als eine Art Planetarium – von einem kosmischen Uhrmachergott geschaffen –, um geistige Wahrheiten zu verdeutlichen. Das erklärt den spielzeugartigen Charakter seiner Phantasien: Wenn die Welt keine endgültige Wirklichkeit besaß, konnte man sie so schematisch und so märchenhaft-witzig wie nur möglich darstellen, mit anekdotischer Erfindungslust, in der Unmittelbarkeit des schöpferischen Einfalls, mit der heiteren Ironie der Vision – aber auch der Fatalität –, in der rhythmischen Präzision und der Poesie des Dahinträumens, schließlich in der Miniaturisierung des Geschehens. Daher sein Ruf eines petit-maitre einer universalen Welt. Seine Arbeit glich einem Stöbern in den vielen Ritzen und Schlupflöchern des menschlichen Lebens, der Zeitereignisse, der Kultur wie auch der Wissenschaft.

In seinem Bauhausbuch von 1923, »Wege des Naturstudiums«, schrieb er: »Der Künstler ist Mensch, selber Natur und ein Stück Natur im Raum der Natur.« So schließt sich ihm der Kreislauf: Aus der Meditation über die Natur und die Welt entsteht die Vorstellung von rhythmischen Grundstrukturen des Raumes, des Wachsens, der Statik und Schwerkraft, der Dynamik des Schwebens und Fliegens, und aus diesen Grundstrukturen wird durch die Gestaltung unversehens, aber doch notwendig, wieder Natur, nicht deren Abbild, sondern deren Wesen. Die Magie einer geometrischen Ordnung wird zum Spiegelbild kosmischer Ordnung schlechthin.

Ein Schlüsselwerk von Klee, »Angelus novus« (1920), einstmals in Besitz des Philosophen Walter Benjamin und für diesen eine wichtige Inspirationsquelle, stellt einen Engel-Menschen mit gestikulierend erhobenen Händen dar, die zu kurz geratenen Flügeln gleichen, und mit vogelartigen Füßen. Nimmt er ungläubig staunend wahr, daß er dennoch zum Fliegen imstande ist? Denn in der Überwindung der eigenen Grenzen des Verstehens und Vermögens sah Klee eine wichtige Triebkraft menschlichen Handelns und Denkens. Benjamin interpretierte die Figur als »Engel der Geschichte«, der entsetzt auf die Trümmer einer Katastrophe schaut, sie wieder zusammenklauben will, aber vom Sturm der Entwicklung in die Zukunft getrieben wird. So wurde Klees Engel als dialektische Allegorie eines ohnmächtigen Historikers interpretiert. Eine neuere Auslegung glaubt nun in der Angelus-Figur eine frühe Parodie auf Adolf Hitler zu erkennen.

Die Musik übte einen besonders starken Einfluß auf Klee aus. Er war der Meinung, daß die Fuge des 18. Jahrhunderts sich ganz direkt in Farbabstufungen und Farbwerte, in Wiederholungen und Abwandlungen des Motivs umsetzen ließe. Seine Kompositionen von übereinander geschichteten Formen, die wie Kartenspiele oder Farbmuster auseinandergefächert sind, stellen den Versuch dar, die Zeit in eine statische Komposition einzufrieren und optischen Motiven den »sich entfaltenden« Charakter von akustischen zu geben. Dieses Gefühl von Rhythmik, Wiederholung und Entfaltung übertrug sich ganz selbstverständlich auf seine Bilder von Pflanzen und Blumen.

Sein Suchen nach Symbolen und Sinnbildern läßt viele seiner Bilder als eine Art Literatur erscheinen: Sie wimmeln nur so von Zeichen, Pfeilen, schwimmenden Buchstaben, verbogenen Wegweisern, Kommata und Schlüsseln. Seine kodierte Beschreibung von Gegenständen – sei es das Adergeflecht eines Blattes oder das Netz tunesischer Bewässerungsgräben – macht nicht einmal den Versuch einer sinnenhaften Wiedergabe, sondern sagt aufrichtig aus, daß dies rein geistige Bilder sind, Hieroglyphen, die in einem zeichenhaften Raum existieren. Das bedeutete nicht nur genaue, sondern auch ekstatische Beobachtung der natürlichen Welt und ein Sich-zu-eigen-machen der Extreme von Nah und Fern, der Nahaufnahme des Details und der von fern gesehenen »kosmischen« Landschaft. An einem Ende der Skala der Mond und die Berge, ein Gehölz von gezackten, dunklen Kiefern, die flachen, spiegelnden Seen in einem Mosaik von dünn aufgetragener Wasserfarbe. Am anderen Ende ein Schwarm kleiner graphischer Inventionen und kristalliner Formen, wie sie nur im Zeitalter der hochempfindlichen Mikroskope und der Makrofotografie erfunden werden konnten.

Neben dem magisch leuchtenden »Goldfisch« (1925) ist »Die Zwitschermaschine« (1922) – beide gehörten einst der Nationalgalerie – zu sehen. Ein scheinbar erheiterndes Vogelquartett hat sich auf einem Ast aufgereiht, der mit einer Kurbelwelle und einer merkwürdigen Apparatur verbunden ist. Doch ein Pfeil durchbohrt den Kopf des einen Vogels, den Körper des anderen, das Auge des dritten, während die Zunge des vierten Vogels die Form eines Ausrufezeichens hat, ein Gefahrensignal in Klees Ikonographie. Das Bild ist eine parodistische Anspielung auf die damalige Situation im Bauhaus, eine graphische Versinnbildlichung der Konflikte, ihrer Auswirkungen auf die einzelnen Kollegen und des Schicksals, das sie erwartete. Eine kleine Drehung der Kurbelwelle hätte fatale Folgen.

Als sich Klees Leben dem Ende zuneigte, schuf er eine ganze Reihe von Engel-Motiven als eine letzte Metapher für die endgültige Reise ins Reich des Unsichtbaren. In »Engel noch weiblich« (1939) registriert ein Auge besorgt, über die Flügel hinweg nach unten schauend, die Reste einer verschwindenden Sexualität. Das andere Auge, nach oben gerichtet, verweist auf den einzuschlagenden Weg, mit dem die Metamorphose des Menschen abgeschlossen werden soll. Die Engelsgesichter haben einen wachen, wissenden, ja fast heiteren Ausdruck, der den Triumph des Geistes über das Leiden versinnbildlicht.

Das Universum Klee. Neue Nationalgalerie, Berlin, Potsdamer Str. 50. dienstags, mittwochs, freitags 10 bis 18 Uhr, donnerstags 10 bis 22 Uhr, samstags, sonntags 11 bis 18 Uhr, bis 8. Februar. Katalog (Verlag Hatje Cantz) 25 Euro