Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 19. Januar 2009 , Heft 2

Krach mit Bach

von Renate Hoffmann

Um die Zeit der dezemberlichen Fest- und Feiertage und des Jahreswechsels erscholl morgendlich jubelnd aus dem Radio Bach – Johann Sebastians Kantatenzyklus, der späterhin die Bezeichnung »Weihnachtsoratorium« erhielt. Er ertönte nicht in Gänze mitsamt seinen sechs Teilen. Er begann mit dem Eingangschor der Kantate Nummer eins, der gleich einem Begeisterungssturm durch die Räume brauste: »Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage …« und die Zimmerwände zu sprengen schien.

Ich verbog den Text ein wenig: »… aufreißet die Tore! …«, hielt mich daran, stellte den Jubel auf Treppenhausstärke ein und öffnete die Wohnungstür. Der Klangschwall ergoß sich in die elf Etagen des Hauses. Acht-Uhr-dreißig des Morgens. Es schallte gewaltig. Jedoch kein Protestruf, keine schlagende Tür.

Vierundzwanzig Stunden später grollte der Etagennachbar – den Ärger vom Vortag noch vernehmlich in der Stimme –, das sei ja wohl gestern ein unerträglicher Krach und Lärm und Krawall gewesen! Ob ich näheres wüßte?

»Der Krach hieß Bach! Und den Lärm veranstalteten die Dresdner Philharmoniker mit dem Kreuzchor. Der Krawall insgesamt nennt sich ›Weihnachtsoratorium‹; es war eine historische Aufnahme.«

»Warum müssen denn Ihre ›Historiker‹ so schreien und auf die Pauke hauen?« »Weil es in den Noten und im Text steht. Außerdem schreien sie nicht, sie jauchzen und frohlocken!«

Ich bekenne mich zu dem Treppenhauskonzert und beteuere meine hehren Absichten. Der Nachbar wird merkbar friedvoller und läßt Verständnis durchblicken. »Wenn Sie uns schon den Bach verpassen wollen«, sagt er beschwichtigend, »dann frohlockern Sie das nächste Mal gefälligst etwas leiser!« Reuig, aber mit triumphierender Unterstimmung trete ich den Rückzug in meine Kemenate an.