Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 8. Dezember 2008, Heft 25

Letzte(n)s bei der EsPeDe

von Arkadi Ernst

Einen chic’n Hohlraum haben sie im Brandt-Haus, dreieckig, etliche Stockwerke hoch, verglast bedacht, Freitreppe und ’ne Bronze-Statue des Namenspatrons, überlebensgroß, vor allem Kopf und Hand von Willy.
Letztens verlieh dort der Vorstand der SPD den Regine-Hildebrandt-Preis 2008. Dem zahlreich erschienenen Publikum (gefühlter Altersdurchschnitt 59+) wünschten die Türsteher »Einen schönen Abend!« – vorgesehen war eine Wohlfühlveranstaltung, offensichtlich. Anschließend Empfang. Die Einführung sehr familiär, bis zur letzten Enkelin wurden alle Hildebrandts herzlich willkommen geheißen, dann ein stellvertretender Parteivorsitzender als Preisverleiher, zwei sozialdemokratische Ministerpräsidenten, um die Preisträger aus ihren Ländern vorzustellen und schließlich – last but not least; es wurde wirklich wieder mal so gesagt – auch die diesjährig zu Ehrenden: drei verdienstvolle Vereine aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Sie halfen über viele Jahre hinweg den Tschernobyl-Opfern, vor allem Kindern aus Weißrußland und – sich selbst, denn es handelte sich auch um die vereinten Gegner des Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Diese Gegnerschaft geriet im Haus der deutschen Sozialdemokratie zu einer brisanten Ladung. Denn die Gepriesenen taten das, was die sie Preisenden an diesem Abend im Andenken der ostdeutschen »Mutter Courage« (Zitat Peer Steinbrück) nicht umhin konnten zu würdigen: Sie zeigen Zivilcourage! Auch an diesem Abend!
Während noch der Vertreter der Brandenburger Bürgerinitiative Freie Heide in gebotener (warum eigentlich?) Zurückhaltung daran erinnerte, daß sich die Politiker seit 16 Jahren hinter den Richtern verstecken, wo doch gerade eine politische Entscheidung gefragt sei, war die Sprecherin der Mecklenburg-Vorpommern-Aktionsgemeinschaft Freier Himmel nicht so diplomatisch: Gerade heraus beklagte sie das Unwissen, den Widerwillen, ja die Ablehnung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, einen eindeutigen Wunsch der Bürgerinnen und Bürger rund um den ehemaligen und hoffentlich nicht zukünftigen Luft-Boden-Schieß-platz nach einer gesicherten entmilitarisierten Existenz zu erfüllen. Ihre gegenwärtige und künftige Lebensgrundlage in dieser schönen nordöstlichen Seen- und-Hügel-Landschaft Deutschlands ist einzig und allein der Tourismus.
Dieses Ringen ist in der Tat spannend: Es heißt Citoyen=Souverän vs. Regent=Legislative=Exekutive=Regierung. Man nennt es auch Demokratie, so jedenfalls verstehen es die Bürger vor Ort in ihrer Aktion. Anderswo buchstabiert man ziemlich anders, dort heißt es »Parlamentarische Demokratie«, und was der Unterschied, ja der Gegensatz zwischen beidem ist, das konnte an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus der deutschen Sozialdemokratie gelernt werden.
PS. Auch anders war’s eine Lektion: Brezeln, Brötchen und Getränke in einem Eck des Hohlraums zu verabreichen, die Stehtische gleich davor – in so erzeugtem Gedränge wich das letzte Wohlgefühl leisen und auch lauten Flüchen. Jetzt können sie bei der EsPeDe nicht mal mehr Gemütlichkeit organisieren.