Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 8. Dezember 2008, Heft 25

Glauben und wissen

von Heerke Hummel

Fährt man von der Autobahnausfahrt Wildeck – Obersuhl (A4 Dresden – Bad Hersfeld) über Solz nach Bebra, so ist kurz vor dem kleinen, jetzt der Stadt eingemeindeten Ort Imshausen rechterhand auf einer Anhöhe kaum ein großes, mahnendes Holzkreuz zu übersehen. An seinem Fuße erinnert ein Stein an Adam von Trott zu Solz. Der wurde nach dem 20. Juli 1944 zusammen mit Freunden des Kreisauer Kreises ermordet. Er ist »Gestorben mit den Freunden im Kampfe gegen die Verderber unserer Heimat«. So steht es auf dem Stein unweit des Anwesens seiner Eltern.
Heute engagiert sich seine Tochter Clarita Müller-Plantenberg für eine bessere, solidarische Region Nordhessen. Den verderbenden Auswüchsen des Turbokapitalismus will die an der Universität Kassel lehrende Soziologin eine solidarische, regional orientierte Wirtschaft entgegensetzen. Sie gründete dazu die Stiftung Adam von Trott e.V., Imshausen. Und sie beteiligt sich an der Arbeit einer »Akademie auf Zeit« zum Thema »Solidarische Ökonomie«. Diese ist als eine Basisbewegung hervorgegangen aus der ökumenischen Bewegung und dem sogenannten konziliaren Prozeß der christlichen Kirchen und versammelt Menschen vieler Weltanschauungen und Glaubensbekenntnisse, die nach einer Alternative zur heutigen Gesellschaft suchen. Ihr Anliegen ist es, die Schöpfung dadurch zu bewahren, daß wirtschaftliches Tun von der Dominanz der zerstörerischen Profitgier befreit wird. Sie bemüht sich – und darüber wurde Anfang November in Imshausen debattiert – um neue, wissenschaftlich begründete Denkansätze, wo die meinungsbildende und politikbestimmende »offizielle« Wirtschaftswissenschaft nichts Besseres vermag, als das bestehende System grundsätzlich zu verteidigen und in Krisensituationen wie der gegenwärtigen Notlösungen zu entwerfen – wenn sie sich denn überhaupt zu Wort meldet.
Zu Wort meldete sich jedenfalls fast zur gleichen Zeit eine zumindest tonangebende Bewegung an der Spitze von protestantischen Kirchen und Staat. Anlaß war eine 1. Luther-Konferenz, veranstaltet wegen des 525-jährigen Geburtstags des großen Reformators. Dazu hatte sich in der Friedrichstadt-Kirche am Berliner Gendarmenmarkt eine Crème dieses Landes zum Disput über die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft versammelt. Was dort von sich gegeben wurde, war geradezu grotesk: Sie alle seien von der Krise völlig überrascht worden, hätten nie verstanden, was da im Weltfinanzsystem eigentlich vor sich ging.
Das glaubte ich ihnen gern. Aber geradezu dummdreist war die Behauptung des früheren Botschafters der USA in der Bundesrepublik, Kornblum, die Finanzblase hätte doch auch etwas Gutes gehabt: Ohne sie hätte Deutschland sich nicht zum Exportweltmeister aufschwingen können, und die deutsche Autoindustrie habe von ihr profitiert. Wahrscheinlich war ihm der ökonomische Verstand des Auditoriums geläufig, so daß er ihm ungerügt weismachen konnte, die heutige Krise sei nur ein Wirbelsturm; wenn der vorbei sei, werde man weitermachen.
Bundesinnenminister Schäuble setzte noch eins drauf. Die derzeitige Krise sei zwar ein großes Unheil und Folge einer in der menschlichen Natur liegenden Maßlosigkeit; aber niemand sei von Fehlern und Irrtümern frei. Immerhin hätte man doch in Amerika (und hier wiederholte er nur Kornblum) einen guten Zweck verfolgt, als der amerikanische Gesetzgeber bestimmte Vorschriften für Kreditvergaben änderte, damit mittellose Migranten leichter ans Geld kämen, um ein Eigenheim zu bauen – als wenn das die einzige und wichtigste Ursache der nun geplatzten Finanzblase gewesen sei! Und so rief Schäuble denn dazu auf, weiter im Vertrauen auf Gott nach der Methode »Versuch und Irrtum« (wörtlich!) den richtigen Weg in die Zukunft zu suchen. Die freiheitliche Ordnung lebe eben von ihrer Unvollkommenheit.
Millionen Menschen glauben wohl an Gott, aber nicht an die Alternativlosigkeit der Gesellschaft, wie sie quasi auf der »Luther-Konferenz« gepflegt wurde. Die Teilnehmer der Tagung in Imshausen scheuten sich nicht, neben ihrem Glauben ihr Wissen zu offenbaren: daß die Wurzel des benannten Übels in der Kapitalverwertung als Ziel und Bedingung allen wirtschaftlichen Handelns dieser Gesellschaft liegt. Karl Marx mit seinem Kapital ist bei ihnen nicht mehr Unperson, und die DDR ging (nach einer unwidersprochenen Meinungsäußerung) nicht an ihrer Planwirtschaft zugrunde, sondern an der Diktatur ihrer Machthaber. In einem Strategiepapier der Tagung von Imshausen heißt es einleitend: »Ein Gespenst geht um in der Welt: der sich aufbäumende und zusammenbrechende Kapitalismus. An der Weltfinanzkrise wird vollends deutlich: ein Wirtschaftssystem, das das ›Streben nach Eigennutz‹ zu Leitbild und Motor allen Handelns macht und Wirtschaft zur Abschöpfungs- und Bereicherungsmaschine der Kapitalbesitzer werden läßt, treibt nicht nur Menschen in Armut und Elend, führt nicht nur ganze Volkswirtschaften an die Grenzen des Ruins und macht nicht nur die Lösung der Umweltkrise unmöglich, es untergräbt die Grundfunktion des Wirtschaftens selbst: den Austausch von Gütern und Leistungen zum Vorteil aller Beteiligten.«