Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 27. Oktober 2008, Heft 22

Computer am Hals

von Ove Lieh

Ein leises Brummen dringt seit einiger Zeit aus dem Keller durch das Treppenhaus bis unter das Dach unseres Hauses. Es ist die Kühlung des Servers, der die Steuerung nicht nur aller elektrischen Geräte, sondern eigentlich aller Vorgänge im Haus übernommen hat. Dort, wo noch vor kurzer Zeit Schalter per Hand bedient wurden, wirkt jetzt eine komplizierte Software. Sobald der Wecker geklingelt hat, erscheint sanft gedämpftes Licht im Zimmer, im Bad hebt sich der Toilettendeckel, man findet ihn offen, sobald man das Bad betritt, man kann also knapper kalkulieren. Der Kaffee läuft schon durch, der Toast wartet bräunungsbereit im Toaster auf seinen Einsatz und die Eier sind auf dem vollautomatischen Weg vom Kühlschrank zum Eierkocher.
Halt, heute ist Donnerstag, da gibt es keine Eier. Ich muß mich beeilen, denn wenn ich nicht in der Küche bin, wenn das Frühstück auf dem Tisch steht, ertönt im ganzen Haus ein Warnton, nach zehn Minuten werden zuerst die Nachbarn und dann die Polizei informiert. Früher hat mich ja immer meine Frau zum Essen gerufen, und wenn ich da nicht gleich kam, hat sie die Nachbarn nicht informiert, sondern ist hoch ins Schlafzimmer gekommen. Nun ja, kalt ist der Toast manchmal geworden, so kalt wie der Kaffee. Aber das war uns egal. Seit ich aber unser Haus nach den neuesten Trends modernisiert habe, hatten wir immer mehr Probleme miteinander, und irgendwann hat es meiner Frau gereicht, wahrscheinlich als das neue Bügeleisen – welches übrigens vollautomatisch zur Wäsche passende Hörbücher vortragen konnte, bei Unterwäsche hat das ganze Bügelbrett geknistert – ständig ihre Art zu bügeln kritisiert hat, und sie ist zu ihrer Mutter gezogen.
Dabei hat die gar keine Ahnung von Technik. Ach was, die tut so, als hätte sie Angst davor. Dabei weiß ich genau, daß sie den Dosenöffner bedienen kann, wenn niemand da ist. Nur bei Anwesenheit von Besuchern kann sie das plötzlich nicht mehr. Müßte sie ja auch nicht, wenn sie sich zum Kauf eines der neuen Fullservice-Kühlschränke entschließen könnte. Da muß man draußen auf der Tastatur nur noch »Fisch« und die Nummer der Sorte eingeben, dann hat man kurze Zeit später das Gewünschte auf dem Tisch. In der Zwischenzeit könnte man zum Beispiel auf dem Display in der Kühlschranktür eine DVD ansehen. So sehr kann die Technik das Leben erleichtern.
Wir kennen das doch schon lange. Als die Kaffeemaschine aufkam, konnten wir die Oma ins Heim geben. Dank der Waschmaschine müssen wir die Wäsche nicht mehr im Fluß waschen, sondern können uns gemütlich Filme über Leute ansehen, die ihre Wäsche noch im Fluß waschen müssen, während unsere fast von alleine sauber wird. Diese Leute haben dagegen keine Zeit, sich zum Beispiel Filme anzusehen über die Leute, die ihre Wäsche nicht mehr im Fluß waschen und neidisch zu sein. So wie wir tief drinnen vielleicht ein bißchen neidisch sind auf die, die da so fröhlich gemeinsam arbeiten. Aber das müssen wir ja dank der Technik nicht mehr. Sie erspart uns viel Mühe und vor allem Zeit. Und die gewonnene Zeit können wir dann nutzen, natürlich, um uns mit Technik zu beschäftigen.
Sie fordert aber auch ihren Tribut. Wir unterbrechen zum Beispiel sofort jedes direkte Gespräch mit anderen Personen, wenn das Telefon klingelt, aber (fast) nie ein Telefonat, wenn uns jemand anspricht. Wir fahren mit Navigationssystemen in Flüsse, weil es uns Fähren als Brükken angegeben hat, statt nach dem Weg zu fragen und Wegweiser zu lesen. Wir passen uns den Geräten an. Der Herzschrittmacher bestimmt unseren Herzrhythmus, andere Geräte unseren ganzen Lebensrhythmus. Ersterer macht uns gesund, alles andere krank. Das wird sich noch verstärken, wenn die Verbindung zwischen Multimediatechnik und Haushaltsgeräten noch enger wird, wie es die diesjährige Internationale Funkausstellung demonstrierte. Dann werden Computer in jedem Haushaltsgerät drin sein, oder, wie in meinem »Traumhaus«, vom Keller aus gesteuert. Aber auch die Kommunikationsgeräte werden sich wandeln. »Denkbar wären beispielsweise in Jackenkragen integrierte Telefone oder Handhelds, die man wie eine Kette um den Hals oder als Armband tragen kann.« (Cees van Dok, Firma Frog Design)
Sollen wir die Plagegeister immer am Leib haben? Reichen die allgegenwärtigen Handys nicht? Das ist ja, als ob man sich freiwillig Zecken ansetzt! An wessen Bedürfnissen entlang wird eigentlich Technik entwickelt? Also an meinen nicht!
Vielleicht wird es so schlimm, wie es oben beschrieben wurde, nicht werden, sondern noch viel schlimmer. Verlassen Sie sich jedenfalls nicht auf das, was Ihnen die Gestalter versprechen. Die behaupten nämlich, daß die meisten Produkte heutzutage ihren Zweck erfüllen und das tun, was man von ihnen erwartet. Tun sie das? Gerade der PC ist das beste Gegenbeispiel. Dennoch hält man seine Funktion für selbstverständlich. Es ginge jetzt mehr darum, sich mit den Produkten, die man benutzt, gut zu fühlen, Dinge zu kaufen, die der eigenen Persönlichkeit entsprechen, oder dem Bild, das man von sich hat.
Sage mir, welche Geräte Du benutzt, und ich sage Dir, wer Du bist, möchte man ausrufen. Sofern nicht gerade Dein oder mein Telefon klingelt. Einen Trost gibt es allerdings: Man muß nicht mitmachen. »Es wird natürlich auch künftig Leute geben, die ein Handy, wenn überhaupt, zum Telefonieren nutzen werden. Das ist immer auch eine Generationsfrage.« (Cees van Dok)
Dann gibt es eine ganz neue Gnade der frühen Geburt!