Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 29. September 2008, Heft 20

Schulden, Schuldner, Schuldiger

von Plutarch

Bei den Messeniern lautet ein Sprichwort: Pylos liegt vor Pylos, doch gibt’s noch ein anderes Pylos. Von den Wucherern könnte man sagen: Zinsen liegen vor Zinsen, doch gibt’s auch andere Zinsen. Deshalb lachen sie freilich über die Naturwissenschaftler, die den Satz aufstellen: »Aus nichts wird nichts«.. Bei ihnen wird ja aus dem, was noch nicht existiert und noch nicht ins Dasein getreten ist, ein Ertrag erzeugt. Sie halten es für eine Schande, Zölle zu pachten, obwohl das Gesetz es zuläßt. Aber Geld leihen sie aus und erheben dabei wider alles Recht Zinsen, oder vielmehr, um die Wahrheit zu sagen, sie betrügen die Leute beim Ausleihen um ihr Geld. Denn wer weniger bekommt, als er im Schuldschein unterschreibt, ist betrogen. Die Perser halten jedenfalls das Lügen nur für das kleinere Vergehen, das Schuldenmachen aber für das größere. Denn die Schuldner geraten häufig genug auch noch ins Lügen. Allein die Wucherer lügen noch mehr, und in ihren Büchern scheuen sie selbst vor einem Betrug nicht zurück, indem sie eine größere Summe als Schuld eintragen, obwohl sie eine geringere hingegeben haben. Der Grund zu dieser Lüge aber ist die Habsucht, nicht Not und Mangel, vielmehr ein unersättlicher Geiz, der ihnen am Ende doch keinen Genuß, den Betrogenen aber den Untergang bringt. Sie bauen die Felder nicht, die sie ihren Schuldnern abnehmen, bewohnen die Häuser nicht, aus denen sie sie verjagen, und machen von ihren Tischen und Gewändern keinen Gebrauch. Aber ist der erste zugrunde gerichtet, so wird mit ihm der zweite geködert, und es beginnt die Jagd auf diesen. Diese Grausamkeit frißt wie Feuer um sich und wird durch den Untergang und das Verderben der Umgekommenen nur vermehrt, so daß sie endlich einen nach dem anderen verzehrt. Der Wucherer aber, der ein solches Feuer entzündet und zum Verderben vieler unterhält, hat keinen anderen Nutzen davon, als daß er von Zeit zu Zeit zu seinen Büchern greift, um darin zu lesen, wie viele Schuldner er schon verkauft, wie viele er aus ihrem Besitz vertrieben und auf welchen Wegen die Gelder wandern mußten, um sich bei ihm aufzuhäufen.