von P.-P. Messer
Nachdem ich in Prag angekommen war, setzten wir uns in eine Kneipe, um uns gegenseitig Auffrischung in tschechischen und deutschen Belangen zu verabreichen. Alex, mein Gastgeber, ist seit einem Jahr hier, er leistet in der Jüdischen Gemeinde seinen Zivildienst.
Obwohl die ganze Stadt mit kleinen Bannern behängt ist, auf denen die Jahreszahlen 1918, 1938, 1948, 1968, 2008 zu lesen sind und zum jeweiligen Ereignis noch ein Bild montiert ist – für das Jahr 2008 ist eine Blumenwiese abgebildet –, die Schlachten sind geschlagen, zumindest im eigenen Land, etwas anderes zählt nicht. Alex behauptet, für tschechische Jugendliche sei das Private ohnehin wichtiger als das Politische.
Abends in einem kleinen Klub ein »Tschetschenien-Abend«. Ein dunkler Raum mit Bühne und Leinwand, an den Wänden Zusammengelötetes, das ein System ergeben soll. Als ich in den Raum trete, sind alle Sitzplätze belegt, viele junge Menschen, eine ältere Frau. Es läuft ein Film. Die meisten starren eher teilnahmslos bis gelangweilt nach vorn. Im Film werden Kriegsbilder gezeigt und Interviews mit den tschetschenischen Filmleuten geführt, einige Jahre nach dem offiziellen Kriegsende. Alex’ Freundin übersetzt für mich. Aus den angrenzenden Schankräumen dröhnt immer wieder Gelächter.
Der Film ist zu Ende, ein schummeriges Licht geht an, einige Leute stehen auf, um Bier zu holen oder um sich die Beine zu vertreten. Eine Frau tritt auf, um eine Diskussion zum Thema zu beginnen. Erst ein paar Worte, noch ein paar Worte, Bilder werden gezeigt, das Publikum tuschelt uninteressiert, die ältere Frau vor mir holt Stift und Zettel hervor und notiert sich den Termin einer Musikveranstaltung mit einem britischen DJ. Ihre Sicht wird vom Schatten eines Mannes behindert, den sie mit Handzeichen darauf aufmerksam macht; er geht aus dem Raum.
Nach einem unsicheren Vortrag steht ein Mann auf und fragt, warum die tschechische Regierung immer noch Waffen an die Russen liefere, er versucht, die Referentin dafür verantwortlich zu machen. Die wird noch verunsicherter und erklärt, daß sie von einer Nichtregierungsorganisation komme und keinen direkten Einfluß auf derartige Geschäfte habe. Und wisse sie auch nicht, welche Geschäfte er genau meine.
Dann keine Frage mehr.. Alex’ Freundin wird auf die Bühne gebeten, einige Worte zu sagen, da sie sich auch bei BERKAT engagiert. Sie meint, daß der Krieg immer noch nicht zu Ende sei. Ein bärtiger Mann, der gerade hereingekommen ist, klimpert mit den Fingern auf seinem Bierglas. Verduzt und fragend schauen ihn die beiden Frauen an, ob er etwas sagen wolle. Er zieht sich in den Ausgang zurück, wo er stumm lacht.
Es werden noch zwei weitere Filme gezeigt. Sie sind an Härte kaum zu überbieten. Immer mehr Menschen stehen auf, holen sich Bier oder gesellen sich zu dem Sonntagabendpublikum. Das fordert Musik. Am Ende sind noch zehn Menschen im Raum. Das Licht geht an. Nun gehen alle. Wir bleiben hilflos zurück. Neben uns ein Mann, im Stuhl zusammengesackt, er schläft. Drei Jugendliche kommen grölend in den Raum, um ihre Freude über das Ende der Veranstaltung zu bekunden, mit der lauthalsen Forderung: »Party, Party!«
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