Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. August 2008, Heft 16

Helga Nussbaum

von Axel Fair-Schulz

Am 3. August jährte sich der Geburtstag einer bedeutenden Wirtschaftshistorikerin und zutiefst humanistisch denkenden und handelnden Frau zum 80. Mal. Als Verfechterin eines empirisch fundierten und undogmatischen Marxismus, als Autorin wichtiger wissenschaftlicher Werke sowie als Direktorin des auch international anerkannten Ostberliner Akademie-Institutes für Wirtschaftsgeschichte hat Professor Helga Nussbaum Bleibendes geleistet. In den Jahren seit ihrer Emeritierung widmete sie sich ihrer Familie und dabei besonders dem Heranwachsen eines Enkels mit besonderen Pflegebedürfnissen. Obgleich sich diese Arbeit von der der produktiven Wirtschaftshistorikerin und wissenschaftlichen Direktorin vergangener Jahrzehnte unterscheidet, ist sie denoch nicht minder anspruchsvoll oder minder wichtig.
Geboren in Berlin am 3. August 1928 in einfachen Verhältnissen, war der Weg zur renommierten Wirtschaftshistorikerin keinesfalls vorgezeichnet, sondern wurde mit Fleiß und Durchsetzungswillen erarbeitet. 1946 begann Helga Nussbaum mit dem Studium an der Berliner Humboldt-Universität, wo sie auch ab 1952 als Assistentin für politische Ökonomie wirkte. 1964 folgte die Verteidigung ihrer Dissertation über Antimonopolistische Strömungen in der deutschen Bourgeoisie vor dem ersten Weltkrieg und 1975 dann die Habilitierung mit einer Arbeit Studien zur staatsmonopolistischen Entwicklung des deutschen Imperialismus. Beide Projekte geben Einblick in ein Hauptarbeitsgebiet von Helga Nuss-baum – jenseits von plakativen »marxistisch-leninistischen« Erklärungsmustern die Dynamik kapitalistischer Monopolbildung sowie auch innerkapitalistische Monopolgegnerschaft herauszustellen. Helga Nussbaums auf breiter Quellenbasis fußender und methodisch differenzierter Ansatz unterschied sich von Anfang an wohltuend von Dogmatikern, die stets behaupten und selten ernsthaft analysieren. In ihrem auch heute noch lesenswerten Buch von 1966 Unternehmer gegen Monopole: Über Struktur und Aktionen antimonopolistischer bürgerlicher Gruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts liest man quasi als Forschungsprogramm bereits in der Einleitung: »Der Geschichtsverlauf läßt sich nicht hinreichend deuten, wenn man strukturell und interessenmäßig homogene Schichten voraussetzt, etwa: die Großbourgeoisie, die mittlere Bourgeoisie, die Kleinunternehmer.«
Dieser Sinn für historische Komplexität, Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit zeichnet nicht nur die Werke von Helga Nussbaum aus, sondern auch die ihres Ehemanns Manfred Nussbaum, ebenfalls Wirtschaftshistoriker am Institut für Wirtschaftsgeschichte. Zwischen 1977 und 1988 leitete Helga Nussbaum dieses vom Nestor der DDR-Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski begründete Akademie-Institut mit Umsicht und hoher Professionalität. Durch ihren Eintritt in den wohlverdienten Ruhestand blieb ihr die Auflösung dieses international renommierten Institutes erspart, welche ihr Nachfolger Thomas Kuczynski organisieren mußte. Unter gewiß nicht einfachen Umständen wurde dort zu DDR-Zeiten seriöse Wissenschaft betrieben, was sich nach der Wende nicht zuletzt darin niederschlug, daß die meisten wissenschaftlichen Projekte des Institutes von den Gutachtern positiv evaluiert wurden. Leider konnte dies jedoch die ideologische Enge und Kurzsichtigkeit der altbundesdeutschen Abwickler nicht ausgleichen. Deren Zerstörungswerk ist auch international kritisiert worden und kann glücklicherweise den bleibenden Leistungen von Wissenschaftlern wie Helga Nussbaum und ihrer Kolleginnen und Kollegen am Institut für Wirtschaftsgeschichte keinen Abbruch tun.
Last but not least: Der Autor dieser Zeilen erinnert sich gern an die freundliche und freundschaftliche Aufnahme, mit der Helga Nussbaum den damals noch jungen kanadisch-amerikanischen Doktoranden begrüßte und dem sie geduldig zahllose Fragen beantwortete.