Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. August 2008, Heft 16

Drucker aufs Brot

von Martin Nicklaus

Eine mehr den Helfern als den Bedürftigen dienende Hungerhilfe kommentierte Jello Biafra einst: »Ist in Ordnung, wenn die Butter in Sambia ausgeht, schmiert euch doch zerquetschte Caterpillars aufs Toast.«
Nun, damit wäre sicher die tägliche Dosis an Eisen gedeckt und etwas mehr getan als mit unperiodisch wiederkehrenden Konferenzen, deren letzte, Anfang Juni, der Tagesspiegel als »Gipfel der Heuchelei« beschrieb. Deren eigentliche Aufgabe bestehe darin, Wohlfühlästhetik zu schaffen, in der wir westlichen Wohlstandsbürger gemütlich zu Abend speisen und uns ganz unserer Verfettung widmen können, während anderswo Menschen Hungers sterben. Allen voran die Jugend. Fetthunger hier, fett Hun-ger dort. Inzwischen gilt bei uns perverserweise Übergewicht als Todesursache wie Mangelernährung anderswo.
Apropos Fett, obiges Zitat stammt aus Biafras Lied The power of lard, was auf deutsch erheblich an königlichen Pathos verliert: Die Macht von Fett. Wer sich ihm tänzerisch hingibt, verliert dabei so viel Fett, wie die täglich Verhungernden nie zusammenessen konnten. Was auch tunlichst so bleiben soll, ginge es nach der deutschen US-Botschafterin, der-zeit als Bundeskanzlerin agierend. Der stünde ein Tänzchen gut zu Leibe, insbesondere nachdem sie bei einem Auftritt in Oslo eine neue Körperlichkeit ins Spiel brachte. Eigentlich trägt sie ja jene, ihre Problemzonen gut herausstellenden Wurstspellen-Hosenanzüge, die klasse ins Bild pas-sen, wenn sie zum derzeit extrem ausgebrochenen Hunger verkündet: Schuld daran seien Inder, die sich eine zweite Mahlzeit am Tag gönnen. So war Globalisierung selbstverständlich nie gemeint.
Die Dreistigkeit der Merkelschen Schuldzuweisung sowie ihre unlängst in Norwegen vorgestellte barocke Robe mit einem Dekollete in den Ausmaßen der derzeitigen Hungerkatastrophe erinnern ein wenig an Marie Antoinette: »Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.« Deutschland produziert nur für 98 Prozent der Bevölkerung »Brot«. Rund eineinhalb Millionen Menschen müßten demnach mit »Kuchen« auskommen. Dabei läßt diese Betrachtung die Futtermittel für das Vieh unberücksichtigt. Der Exportweltmeister hängt nämlich auf dem Agrar-sektor extrem von Importen ab.
La Merkel, in ihrem steten, von tiefer barmherziger Fürsorge getragenen Engagement für die Industrie, wollte vor allem feststellen, daß Agrokraftstoff, den sie aus Irrtum Biosprit nennt, selbstverständlich kein Grund – wieder Irrtum – für teure Lebensmittel sei. In der Realität sorgt der für exzessive Preissteigerungen. Den Finanzjongleuren mit ihren ständigen selbstproduzierten Krisen war der Markt der Agrarrohstoffe ein gefundenes Fressen. Selbst im wirtschaftsfreundlichen Spiegel kamen die Redakteure unter der Überschrift »Tödliche Gier« zu diesem Urteil.
Hier wird die Metapher Heuschrecke sehr deutlich, denn weder die realen Tiere noch Dürren, Hagel oder Überschwemmungen erklären den Preisanstieg, da die Welternährungsorganisation FAO mit einer Rekord-ernte rechnet. Lebensmittel sind nicht knapp, sondern teuer. Eine schö-ne Widerlegung der geheiligten Marktprinzipien. Was interessiert es die Prediger, beispielsweise die der Deutschen Bank. Sie werben nun auf Bröt-chentüten für den Agriculture Euro Fond, mit dem jeder an den teuren Naturalien mitverdienen kann. Nimmersatts im Streben nach fetter Rendite fressen den Hungernden die Haare vom Kopf.
Ansatzpunkte, dem weltweiten Hunger entgegenzuwirken gäbe es reichlich: Abschaffung von Agrosprit, Minderung des Fleischkonsums, Streichung der Agrarsubventionen sowie Beendigung der Lebensmittelspekulationen durch Schließung der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Chikago, letzteres fordert zum Beispiel UN-Sonderberichterstatter Jan Ziegler. Er meinte angesichts der FAO-Berechnung, die Erde könnte zwölf Milliarden Menschen ernähren: »Jeder Mensch, der heute an Hunger stirbt, wird ermordet.«
Doch Widerstand wächst. Erst explodierten die Lebensmittelpreise, dann die Volksseelen in Haiti, Honduras, Ägypten, Bangladesh, Mocam-bique und Westafrika. Wenn die Menschen auf ihren Märkten keine bezahlbare Nahrung mehr finden, dann aber immer noch Steine, um damit ihre Unzufriedenheit auszudrücken. »Geh’ los und sammel Helme! Geh’ los, grab’ Steine aus!« sangen einst Slime. In Deutschland steigen vorerst lediglich die Preise für Milch und Butter. Kabarettist Volker Pispers tröstet uns mit Dingen, die billiger werden: Plasmafernseher, Computer, Drucker. Daher sein Vorschlag, der dem einen oder anderen ein wenig bekannt vorkommen mag: »Schmieren sie sich doch Drucker aufs Brot.«