Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 7. Juli 2008, Heft 14

Strategische Partnerschaft mit Rußland

von Wolfgang Schwarz

In der nicht eben besonders breiten oder gar regelmäßigen Berichterstattung deutscher Medien über Rußland herrschen Schwarz-Weiß-Schemata vor. Natürlich gibt es immer wieder Veranlassung zu kritischer Auseinandersetzung – wie etwa die harsche Rede Wladimir Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vergangenen Jahres.
Allerdings werden aus der in solchen Fällen veröffentlichten Bewertung vorangegangene – und möglicherweise ursächliche – westliche Verhaltensweisen meist ausgeblendet wie etwa das frühere Zusagen konterkarierende territoriale Vorrücken der NATO in Richtung der europäischen Grenzen Rußlands seit 1999. Oder die einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrages durch die USA im Jahre 2002. Negative Nachrichten über Rußland sind in unseren Medien dermaßen dominierend, daß der Rezipient durchaus zu der Schlußfolgerung verleitet werden kann, Positives werde nicht gedruckt oder gesendet, weil es dergleichen in Rußland nicht gäbe.
Vor diesem Hintergrund ist dem kürzlich erschienenen Buch Rußland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht von Alexander Rahr ein möglichst breites Publikum zu wünschen, weil es sich vom Einheitsbrei durch seine sehr differenzierte und zukunftsweisende Sicht der Dinge grundsätzlich abhebt. Rahr ist Programmdirektor Rußland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und gilt als kompetenter Rußlandexperte mit Zugang zum Kreis um Wladimir Putin. Im Spektrum der »Russian Community« der Bundesrepublik wird er den Tauben zugerechnet, die auch dann keinen Schaum vor dem Mund haben, wenn Rußland – wie im Herbst 2007 – der Lufthansa mal eben die Überflugrechte sperrt, um ein Logistik-Drehkreuz in Sibirien durchzusetzen. Daß er allerdings auf dem kritischen Auge russophil bis zur Betriebsblindheit wäre, kann man ihm wahrlich nicht vorwerfen. Er konstatiert vielmehr: »Die Philippika gegen Putins Rußland ist lang..« Und er macht keinen Bogen um die besorgniserregenden Kernpunkte dieser Philippika – seien es vielfältige Demokratiedefizite in der russischen Gesellschaft, die allgegenwärtige Korruption im Lande oder die Ausprägung neo-autoritärer Mechanismen und Verhaltensweisen des Staates unter Putin.
Aber Rahr macht zugleich deutlich, worin die Leistungen der Putin-Jahre bestehen: Das Chaos und die Anarchie der Jelzin-Ära wurden beendet; die Wirtschaft wurde erfolgreich stabilisiert und ging in eine Phase der Prosperität über; die ausufernde Kriminalität wurde spürbar eingedämmt, und die Zuspitzung der sozialen Gegensätze im Lande, vor allem die zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungskreise, wurde gestoppt. Rußland ist heute insgesamt wieder weit stabiler als noch vor zehn Jahren, wozu nicht zuletzt beiträgt, daß sich die politische Führung von einer komfortablen Mehrheit der Bevölkerung getragen weiß.
Dieser Wandel liegt unzweifelhaft auch im wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interesse des Westens, speziell Europas. Dies bewußt zu machen, ist offensichtlich ein Anliegen von Alexander Rahr – nicht zuletzt weil der Blick auf die Perspektiven des Verhältnisses zu Rußland in EU-Europa nach wie vor erheblich von tradierter Rußlandangst verstellt ist, die gerade von seiten mancher sehr junger EU-Mitglieder (früheren Verbündeten oder gar Bestandteilen der Sowjetunion) immer wieder neue Nahrung erhält. Rahr macht im besonders starken dritten Teil seines Buches – übertitelt mit Rußland als Partner – sehr facettenreich deutlich, daß er die Perspektive in der Entwicklung einer breiten Zusammenarbeit auf vertraglicher Grundlage sieht, die sowohl den wirtschaftlichen als auch den sicherheitspolitischen Interessen beider Seiten Rechnung trägt. Als mögliche tragende Säulen für eine solche Perspektive identifiziert Rahr unter anderem die Möglichkeit für die EU, ihre Energieimporte aus Sibirien langfristig zu sichern, und den umfassenden wirtschaftliche Modernisierungsbedarf Rußlands.
Zugleich konstatiert Rahr, daß während der Präsidentschaft Putins eine »einzigartige historische Chance« vertan wurde, mit Rußland eine strategische Partnerschaft auf den Weg zu bringen. Darin ist dem Autor zwar recht zu geben, wenn man nur an die von Angela Merkel vorschnell abgelehnte Offerte Putins denkt, »Deutschland zur Drehscheibe für die Verteilung russischen Erdgases in Europa zu machen«. Aber man muß trotzdem nicht die Meßlatte so deutlich niedriger hängten, wie Rahr es tut: »Wenn schon keine strategische Partnerschaft«, dann »wenigsten ein anderes Ziel …: die friedliche Koexistenz mit Rußland auf dem europäischen Kontinent«. Jüngst machte in Deutschland der neue russische Präsident Dimitri Medwedjew sehr deutlich, wo im Kanon der Möglichkeiten Rußlands Präferenz für die künftige Entwicklung seines Verhältnisses zum Westen liegt. Er verwendete dabei den Begriff strategische Partnerschaft zwar nicht expressis verbis; aber was er inhaltlich anbot, könnte man ohne weiteres unter diesem Begriff subsumieren (siehe auch Wolfgang Schwarz: Die ausgestreckte Hand, Das Blättchen 13/2008).
Bisweilen wiederholen sich historische Chancen. In solch einem, nicht eben häufigen, Fall sollte man die Gelegenheit aber nicht nochmals tatenlos verstreichen lassen.. Wie wäre es also mit einer strategischen außenpolitischen Initiative, Frau Bundeskanzlerin?

Alexander Rahr: Rußland gibt Gas. Die Rückkehr einer Weltmacht, Hanser Verlag München 2008, 280 Seiten, 19,90 Euro