Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 12. Mai 2008, Heft 10

Aus dem Nachtleben einer Mutter

von Ines Fritz

Neulich in Berlin. Ich war wieder unterwegs. Und in Flirtlaune. Ein schöner Abend, an dem alles paßte. Auch ein Mann. Sogar zu mir. Einer, der mir gefallen hat. Er spielte Klarinette und Saxophon. Oder so was. Ich habe keine Ahnung von Musik. Geschweige denn von Instrumenten. Mir entlockt schon das melodische Kammpusten großäugiges Staunen.
Mitsingen werde ich nicht. Aber das allein war es nicht, ich fand ihn schön. Es war hinreißend, wie er den Mund verzog zwischen zwei Musikstücken. Oh, laß mich dein Mundstück sein. Vielleicht in den Pausen? Es gab keine Langeweile, Notstand oder sonst was. Ausreden, warum ich es nicht gut mit ihm meinen könnte, gab es auch nicht: Er war der Flöterich meines Vertrauens. Er war der Mann des Abends und einen Versuch wert.
Oder zumindest hätte er es werden können: Verspielte Mimik, schmale Blitzlichtaugen, ein schmaler Mund, ein stolzes Kinn, dunkle Haare. Einer, der Kategorie: Wenn ich nicht zu ihr rüber gucke, dann sieht sie mich vielleicht nicht. Aber ich sah ihn doch, den Flöterich, mit dem ich flirten wollte. Aber nicht konnte. Wie auch, er machte Musik.
Oh, mein unbekannter Liebster, der du mich nicht kennst, laß uns so tun, als gibt es kein Morgen. Leg deine Lippen auf meine und laß uns atemlos die Nacht verscheuchen. So frei nach Peter Hacks: Die Liebe muß nicht stets im Bette enden. Besser wär, sie täts.
Oder puste über meinen Kamm. Warum nicht? Warum nicht hier und jetzt? Warum nicht so? Braucht es wirklich mehr als den Namen und ein bißchen gucken, um sich kennenlernen zu wollen? Gehen wir doch ein Stück zusammen, heute abend – wohin auch immer.
Irgendwann saß ich neben ihm, und es wurde doch nichts. Warum auch immer. Sicher lag es an ihm. Oder an mir. Aber bestimmt lag es vor allem an IHR. Sie war zu laut, zu viel, zu groß. Zuviel von allem. Eine, die den Türrahmen schon mitbringt, in den sie sich zwängen wird. Sie ist zur Sicherheit umsäumt und trotzdem zu groß. Direkt vor dir. Eine, die keine Konkurrenz duldet. Nicht mal bei Männern, die nicht ihre sind. Die, die irgendwie da ist. Immer direkt vor dir. In jeder Schlange.
Die, die Höflichkeit abverlangt, weil man keine Frauen hauen darf. Die, die immer die Antwort gibt, die du nicht hören willst, und die es nicht lassen kann, sie dir wie einen nassen Lappen ins Gesicht zu drücken. Ein Fraugigant. Der Sprung in der Platte. Sie vermiest dir jede Romantik, jedes zärtliche Erwachen, jeden Mann. So könntest du auch irgendwann sein.
Davor hätte jeder Angst. Am meisten ich. Sie sang. Irgendetwas. Wen interessiert das schon? Mich sprach sie an: »Und? Was machst du hier?« Hätte ich die Wahrheit sagen sollen: »Ich möchte von diesem jungen Mann in die Nacht entführt werden!« Nein, ich sagte: »Ich bin nur zufällig hier und kontaktarm.« Und es passierte, was passieren mußte, es blitzte in ihren glanzlosen Augen, ihre fette Brust hob sich, drängte sich zu nah an mich heran und hob zum dröhnenden Augen rollenden Uncharmeungewitter: »Dann geh doch!«
Und ich ging. Ungeküßt.