Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 14. April 2008, Heft 8

Nur vergreist?

von Wilfried Meyer

Es ist wahr, aber leider nur die halbe Wahrheit. Deutschland sieht in Zukunft nicht nur alt aus, wie alle Welt inzwischen beklagt, sondern auch schwach – und vielleicht sogar dumm. Es spricht sich nämlich gerade herum, daß die Hochintelligenten weniger Kinder haben. Nicht erst seit gestern, sondern seit etwa hundert Jahren, mindestens. Und Intelligenz ist erblich. Ob mehr biologisch oder kulturell, muß man nicht wissen, erblich ist sie so oder so. Sehr wahrscheinlich ist beides richtig. Auch die Kultur, die andere Ursache der Intelligenz, wird vor allem von der Familie und ihrem Umfeld vererbt.

Sicher: Intelligenz ist nicht alles, aber ohne Intelligenz ist alles nichts. Keine moderne Gesellschaft ist bekannt, die ohne eine kräftige Zahl von Hochintelligenten auskommt. Haben Elternhaus und Umwelt ihr Werk getan, mögen für die Schule noch gerade zehn Prozent bleiben – was aber ein guterzogener akademischer Pädagoge nicht sagt, außer auf dringende Nachfrage, und dann sehr unwillig.

Zwar gibt es keine Untersuchungen, die direkt nachweisen, daß die Hochintelligenten in Deutschland weniger Kinder haben als die anderen. Offenbar fehlt in Deutschland der Mut zu solchen Arbeiten. Aber man kann es anderen Veröffentlichungen entnehmen. Im Bericht der Kommission Zuwanderung des Deutschen Bundestages von 2001 wurde festgestellt, daß vierzig Prozent der hochqualifizierten deutschen Frauen keine Kinder haben. Aus anderer Quelle ist bekannt, daß Frauen mit akademischem Abschluß im Durchschnitt etwa ein Kind haben, Frauen ohne Schulabschluß dagegen zwei. Von Männern steht in den Berichten gewöhnlich nichts, aber intelligente und hochqualifizierte Frauen haben regelmäßig ebensolche Männer – falls sie überhaupt verheiratet sind. Die Ergebnisse sind in Fachzeitschriften gut versteckt. Die Öffentlichkeit nimmt sie kaum zur Kenntnis.

Zugegeben, die Berichte sind nicht ganz widerspruchsfrei. Aber deshalb sind sie nicht falsch. In ihrer Tendenz bestätigen sie sich gegenseitig. Wir benötigen verläßliche Untersuchungen über die Erblichkeit der Intelligenz. Mag ja sein, daß in Deutschland anderes gilt als in Ländern, in denen das bisher untersucht worden ist. Es ist aber sehr unwahrscheinlich. Es gibt in Deutschland kein wissenschaftliches Institut, das solche Fragen bearbeitet. Haben wir Angst vor korrekten Forschungsergebnissen? Oder scheuen die Institute die publizistische Prügel?

Viele können es nicht ertragen, daß Intelligenz zu einem großen Teil genetisch bedingt ist. Die mögen sich bei PISA kundig machen. In keinem Land ist der Schulerfolg so sehr vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland. Das wird traditionsgemäß auf Milieu-Einflüsse zurückgeführt und auf eine bewußte oder unbewußte Lenkung durch die Schulen. Sicher nicht ganz falsch, aber tendentiell gilt die Abhängigkeit des Schulerfolgs vom Elternhaus für alle Länder, nur in Deutschland etwas genauer – aber nur etwas!

Mit keinem Persönlichkeitsmerkmal ist Schulerfolg so hoch korreliert wie mit der Intelligenz. Zwar meiden die PISA-Forscher das Wort Intelligenz wie eine Peinlichkeit. Sie reden dafür unklar von »kognitiver Grundfähigkeit«. In der DDR machte man einen anderen semantischen Klimmzug: Es hieß da »Leistungsvoraussetzungen«. Gemeint waren die Voraussetzungen für ein Studium. Zwei Möglichkeiten, sich um unbequeme Erkenntnisse zu drücken. Zugegeben, Leistungsvoraussetzung ist nicht genau das gleiche wie Intelligenz, aber eine überdurchschnittliche Intelligenz ist heute entscheidend dafür, daß einer einen anspruchsvollen Beruf ergreifen und ausüben kann. Imponiergehabe und Erfahrung reichen auch für Chefs nicht mehr.

Noch etwas aus der DDR: Da wurde die Zahl der Studierenden, die ein akademisches Elternhaus hatten, exakt von Jahr zu Jahr größer. Ganz im Gegenteil zur offiziellen Ideologie, der zufolge Intelligenz in allen Schichten gleich gestreut sein sollte. Die Erklärung liegt auf der Hand: Intelligenz paart sich mit Intelligenz. Die Partner-Korrelation bezüglich der Intelligenz ist in manchen Untersuchungen höher als die Geschwister-Korrelation. Und die Intelligenten haben intelligente Kinder, die allein die höheren Positionen in Technik, Wirtschaft und Wissenschaft einneh-men können. Die intelligenten Kinder zeugen ihrerseits Intelligente – wenn sie es tun. Auf dem Weg zur IQ-bestimmten Klassengesellschaft war also auch der Staatssozialismus schon weit gekommen, aber nur etwas weiter als der Westen.

Der Wissenschaftler Volkmar Weiss, der das in der DDR untersucht hatte, teilte es nach deren Ende mit. (Die IQ-Falle, Stuttgart und Graz 2000). Dafür wurde er gleich zweimal kaltgestellt: in der DDR und in der BRD. (Die Gesellschaft für Anthropologie nahm ihn nicht auf, die renommierte Leopoldina in Halle auch nicht. Das Ausland scheint dergleichen Bedenken nicht zu haben. Da ist er Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften.)

Offenbar ist die IQ-bestimmte Klassengesellschaft eine Entwicklung von fast naturgesetzlicher Zwangsläufigkeit, und zwar in allen Industriegesellschaften, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung. Wir sollten das Faktum zur Kenntnis nehmen und nicht darauf schimpfen, was politisch korrekte Pädagogen und Publizisten so gern tun. Wir werden dadurch nicht intelligenter. Und unsere Zukunftsprobleme lösen wir durch Verdrängen erst recht nicht.