Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 17. März 2008, Heft 6

Kirchenmoral

von Ines Fritz

Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag, meinte im ZDF bei Maybritt Illner, daß die deutsche Linke keine »Instanz zur Schaffung allgemeingültiger Moralnormen« sei, nur die Kirchen seien dazu noch in der Lage.

Sie haben recht, Herr Gysi, Kirchen sind durchaus Instanzen zur Schaffung allgemeingültiger Moralnormen, wie auch Böcke durchaus effiziente Gärtner sein können. Was natürlich weder die Böcke noch die Kirchen davon abhält, gestalterisch auf ihr Umfeld einzuwirken. Und ja, Linke sind keine glorreichen Moralisten, sowie auch Sie keiner sein wollen und es ja auch nicht sein sollen. Gerade was die Stellung der Frauen in der Gesellschaft angeht, so ist die Rolle der Frau aus klerikaler Tradition irgendwie konstant. Sie weiß, worauf sie sich einläßt, wenn sie ihre ureigenen Belange an kirchliche Moralinstanzen abtritt.

Auch die paritätische Wohlfahrtsidee, im Sinne des unschuldigen Nächsten, den man so lieben soll wie sich selbst, mögen vielleicht einige beherzigen, vor allem wenn ein solcher Appell Lohnverzicht zu erreichen hilft. In diesem Sinne würde es natürlich eine linke Moralinstanz doppelt schwer haben. Denn so verzichten Parteilinke nur auf die Mehrheit.

Linke predigen keine allgemeingültigen Moralnormen, die sie dann zur Instanz erheben dürfen, sie bieten Weltbilder an, und sie zeigen Alternativen auf. Außerdem sind sie kostengünstiger als die Kirchen. Die kassieren dabei ab, und zwar von einem beachtlichen Mitgliederstamm. Da würden selbst Gregor Gysi die Augen feucht. Mir ist auch keine andere Instanz bekannt, die sich berufen sieht, allgemeingültige Moralgrundsätze zu formulieren, und die über eine derart zentralistische und durchorganisierte Finanzierungsnorm verfügt wie eben die Kirchen. Jedenfalls nicht unter der deutschen Linken.

Aber sie ist in aller Regel dennoch ein bißchen flexibler, gerade weil es eben keine allgemeingültigen Moralnormen festzulegen gilt, sondern sich linke Politik aus emanzipatorischen und humanitären Verhaltensnormen und Denkansätzen ergibt, die sich aus Empathie, Sozialisation und detaillierter Analyse ableiten.

Eine allgemeingültige Moralnorm ließe sich allenfalls noch über die verbrauchte Gebotsfloskel »Du sollst nicht …« etablieren. Diesem steht heutzutage ein knallhartes und sehr reales »Du darfst nicht …« entgegen. Obwohl letzten Endes doch alles in einem klagenden »Ich muß …« endet. Heute sind es vor allem Juristen, die Moralnormen durchsetzen, und die orientieren sich am Strafgesetzbuch.

Moral umschreibt dabei genau jenen Bodensatz an sozialer Repression, der es nicht bis in ein Gesetzgebungsverfahren geschafft hat. Oder noch gerade rechtzeitig vom Bundesverfassungsgericht kopfschüttelnd kassiert wurde. Es wirkt bestenfalls perfide, wenn einerseits über den Verlust allgemeingültiger Moralnormen geklagt und andererseits auf die Kirchen verwiesen wird, um dort neue Moralnormen zu ergattern. Die jüngste deutsche Geschichte zeigt genügend Beispiele, daß die Kirchen in der Durchsetzung humanitärer Prinzipien eher weniger konsequent sind. Welche Moralnormen mögen nach Gregor Gysis Meinung bitte als allgemeingültig anerkannt werden, wenn nun ausgerechnet die Kirchen solche zu schaffen haben? Und bitte im Widerstreit zu was oder wem?